Die Schocklagerung, auch bekannt als Autotransfusionslagerung, ist eine etablierte medizinische Maßnahme, die in der Notfallmedizin und Intensivversorgung eingesetzt wird. Ziel dieser Lagerung ist es, den Kreislauf zu stabilisieren, die Durchblutung lebenswichtiger Organe zu sichern und die Überlebenschancen bei Patienten mit Kreislaufversagen oder Hypovolämie zu erhöhen.
Definition und Zielsetzung
Die Schocklagerung beschreibt eine Positionierung des Patienten, bei der die Beine höher gelagert werden als der Oberkörper. In der Regel wird eine Neigung von etwa 20 bis 30 Grad empfohlen. Diese Positionierung dient dazu, das venöse Blut aus den unteren Extremitäten in den zentralen Kreislauf zu mobilisieren. Die Autotransfusionslagerung ist dabei besonders wertvoll, da sie eine „interne Volumenzufuhr“ ermöglicht, ohne dass extern Flüssigkeit zugeführt werden muss.
Das Hauptziel dieser Maßnahme ist die temporäre Stabilisierung des Blutkreislaufs, insbesondere bei Patienten mit Hypotonie oder beginnendem Schockzustand.
Physiologische Grundlagen
Die Schocklagerung basiert auf den Prinzipien der Hämodynamik. Im Schockzustand kommt es zu einem Kreislaufversagen, bei dem die Perfusion lebenswichtiger Organe wie Gehirn, Herz und Nieren gefährdet ist. Die Autotransfusionslagerung wirkt auf mehrere physiologische Mechanismen:
- Erhöhung des venösen Rückstroms
Durch die Hochlagerung der Beine wird der hydrostatische Druck in den venösen Gefäßen der unteren Extremitäten erhöht, wodurch mehr Blut in den zentralen Kreislauf zurückströmt. - Verbesserte Herzfüllung
Das erhöhte Blutvolumen im rechten Vorhof und im rechten Ventrikel führt zu einer gesteigerten diastolischen Füllung des Herzens (Frank-Starling-Mechanismus). - Verbesserung des Herzzeitvolumens
Durch die gesteigerte Vorlast kann das Herz ein höheres Schlagvolumen aufrechterhalten, was letztlich die Perfusion lebenswichtiger Organe verbessert. - Unterstützung der Hirndurchblutung
Da der Oberkörper in einer flachen oder leicht geneigten Position liegt, wird die Durchblutung des Gehirns begünstigt.
Indikationen
Die Schocklagerung ist vor allem bei hypovolämischen und distributiven Schockformen indiziert. Zu den häufigsten Indikationen zählen:
- Hypovolämischer Schock
- Blutverlust durch Traumata oder chirurgische Eingriffe
- Flüssigkeitsverluste durch Erbrechen, Durchfall oder schwere Verbrennungen
- Orthostatische Hypotonie
- Kreislaufprobleme aufgrund von längerem Stehen, Dehydratation oder Medikationsnebenwirkungen
- Synkope (Ohnmacht)
- Plötzlicher Blutdruckabfall durch vasovagale Reaktionen oder andere Ursachen
- Distributiver Schock
- Sepsis oder anaphylaktische Reaktionen, bei denen die Verteilung des Blutvolumens gestört ist
Kontraindikationen
Trotz ihrer einfachen Durchführung ist die Schocklagerung nicht für jeden Patienten geeignet. Zu den Kontraindikationen zählen:
- Kardiogener Schock
- Bei Patienten mit Herzinsuffizienz kann eine Erhöhung des venösen Rückflusses die Belastung des Herzens weiter steigern und die Situation verschlechtern.
- Traumatische Verletzungen
- Patienten mit Verdacht auf Wirbelsäulenverletzungen oder Beckenfrakturen sollten nicht in die Schocklagerung gebracht werden.
- Schädel-Hirn-Trauma
- Eine Erhöhung des venösen Rückflusses kann den intrakraniellen Druck (ICP) erhöhen.
- Schwere pulmonale Erkrankungen
- Patienten mit Atemnot oder akutem Lungenödem könnten durch die Lageposition weiter beeinträchtigt werden.
Laut den Empfehlungen der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) sollte die Schocklage bei kardiogenem Schock in der Erstversorgung nur in Ausnahmefällen und abhängig von den Symptomen angewendet werden. Bei Verdacht auf Rechtsherzversagen wird die Schocklage empfohlen, da der Patient von einer erhöhten Vorlast profitieren kann. Im Gegensatz dazu sollte bei vermutetem Linksherzversagen auf die Schocklage verzichtet werden, da eine erhöhte Vorlast das Herz zusätzlich belasten und zu einer Verschlechterung der Kreislaufsituation führen könnte.
Praktische Durchführung
Bei Anzeichen von Unverträglichkeit oder Verschlechterung der Symptome sollte die Position sofort geändert werden.
- Vorbereitung
- Den Patienten flach auf eine stabile und harte Unterlage legen.
- Enge Kleidung, die den venösen Rückfluss behindern könnte, lockern oder entfernen.
- Positionierung
- Die Beine in einem Winkel von etwa 20–30 Grad anheben.
- Dies kann durch Kissen, Deckenrollen oder spezielle Lagerungshilfen erfolgen.
- Der Oberkörper sollte flach bleiben, um den venösen Rückfluss zu optimieren.
- Überwachung der Vitalzeichen
- Kontinuierliche Kontrolle von Blutdruck, Herzfrequenz und Sauerstoffsättigung.
- Auf Anzeichen einer Verschlechterung wie Atemnot oder Bewusstseinsstörungen achten.
- Zeitliche Begrenzung
- Die Lagerung ist als kurzfristige Maßnahme gedacht und sollte nicht über längere Zeit erfolgen, da sie keine Behandlung der zugrunde liegenden Ursache darstellt.
- Anpassung bei Bedarf
- Bei Anzeichen von Unverträglichkeit oder Verschlechterung der Symptome sollte die Position sofort geändert werden.
Vorteile und Grenzen
Die Schocklagerung ist eine bewährte Technik, die in der Notfallmedizin und Erstversorgung häufig eingesetzt wird. Sie bietet klare Vorteile, hat aber auch Grenzen, die bei der Anwendung berücksichtigt werden müssen.
Vorteile
- Einfache Durchführung
- Die Schocklagerung erfordert keine speziellen Geräte oder umfangreiche Vorbereitungen. Sie kann nahezu überall durchgeführt werden, sei es am Unfallort, in der Notaufnahme oder im Krankenhaus.
- Schnelle Wirkung
- Der venöse Rückfluss wird unmittelbar erhöht, was zu einem schnellen Anstieg des Blutdrucks und einer verbesserten Perfusion lebenswichtiger Organe führen kann.
- Nicht-invasive Methode
- Im Gegensatz zu invasiven Maßnahmen wie zentralen Venenkathetern oder Infusionen ist die Schocklagerung nicht invasiv und damit frei von direkten medizinischen Risiken wie Infektionen oder Verletzungen.
- Kosteneffizienz
- Da keine zusätzlichen Materialien oder teuren Geräte benötigt werden, ist die Schocklagerung eine kostengünstige Methode, die in ressourcenarmen Umgebungen besonders wertvoll ist.
- Überbrückung bis zur definitiven Therapie
- Die Lagerung kann als temporäre Maßnahme eingesetzt werden, um den Kreislauf zu stabilisieren, bis andere diagnostische oder therapeutische Schritte eingeleitet werden.
- Verbesserte Organperfusion
- Durch die Zunahme des zentralen Blutvolumens werden Organe wie Gehirn, Herz und Nieren besser durchblutet, was lebensrettend sein kann.
Grenzen
- Keine langfristige Lösung
- Die Schocklagerung ist keine definitive Therapie. Sie behebt nicht die zugrunde liegende Ursache des Schockzustands, sei es Blutverlust, Sepsis oder Herzinsuffizienz.
- Wirksamkeit abhängig von der Schockform
- Während sie bei hypovolämischen Zuständen wirksam ist, zeigt sie bei anderen Schockarten, wie dem kardiogenen oder obstruktiven Schock, oft keine Verbesserung oder kann sogar schädlich sein.
- Gefahr der Fehlanwendung
- Eine unkritische Anwendung ohne Berücksichtigung von Kontraindikationen kann zu Komplikationen führen, z. B. bei Patienten mit Herzinsuffizienz, bei denen der erhöhte venöse Rückfluss das Herz weiter überlastet.
- Kurzfristige Wirksamkeit
- Der Effekt der Schocklagerung ist zeitlich begrenzt. Ohne zusätzliche therapeutische Maßnahmen wie Volumentherapie oder medikamentöse Unterstützung verliert die Lagerung schnell ihre Wirkung.
- Erhöhtes Risiko bei bestimmten Patientengruppen
- Bei Patienten mit Schädel-Hirn-Traumata kann die Schocklagerung den intrakraniellen Druck erhöhen. Ebenso kann sie bei schweren pulmonalen Erkrankungen die Atemsituation verschlechtern.
- Limitierte Blutumverteilung
- Die Menge des Blutes, die durch die Lagerung in den zentralen Kreislauf mobilisiert wird, ist begrenzt. Bei schweren Blutverlusten reicht diese interne „Autotransfusion“ nicht aus, um den Kreislauf zu stabilisieren.
- Unzureichende Evidenz in bestimmten Situationen
- Trotz ihrer weiten Verbreitung ist die wissenschaftliche Evidenz für die Wirksamkeit der Schocklagerung in bestimmten Szenarien uneinheitlich. Studien zeigen, dass der Nutzen in einigen Fällen geringer ist als angenommen.
Evidenzlage
Die Schocklagerung ist seit Jahrzehnten ein Bestandteil der Notfallmedizin. Studien zur Effektivität dieser Maßnahme zeigen gemischte Ergebnisse. Während einige Untersuchungen eine Verbesserung des Blutdrucks und der Organdurchblutung nachweisen, deuten andere darauf hin, dass der Nutzen vor allem bei hypovolämischen Zuständen begrenzt ist.
Eine 2021 veröffentlichte Metaanalyse untersuchte den Effekt der Schocklagerung bei Patienten mit verschiedenen Schocktypen. Die Ergebnisse zeigten, dass der kurzfristige Blutdruckanstieg bei hypovolämischen Patienten signifikant war, während bei kardiogenen Schockformen keine Vorteile beobachtet wurden.
Alternativen und Kombination mit anderen Maßnahmen
Die Schocklagerung ist eine effektive Erstmaßnahme, jedoch keine universelle Lösung. Je nach Ursache und Schwere des Schockzustands können Alternativen und ergänzende Maßnahmen notwendig sein, um die Kreislaufsituation zu stabilisieren und die zugrunde liegende Ursache zu behandeln. Im Folgenden werden wichtige Alternativen sowie mögliche Kombinationen mit anderen Therapieansätzen dargestellt.
Alternativen zur Schocklagerung
- Flachlagerung mit leicht erhöhtem Kopf (Oberkörperhochlagerung)
- Diese Position wird bevorzugt bei Patienten mit kardiogenem Schock oder Atemnot. Die Entlastung des Herzens und der Lungenkreislauf wird durch die leichte Anhebung des Oberkörpers unterstützt.
- Indikationen:
- Akutes Lungenödem
- Kardiogene Ursachen wie Herzinsuffizienz
- Patienten mit schwerer Atemnot
- Flachlagerung ohne Beinelevation
- Geeignet für Patienten, bei denen eine Hochlagerung der Beine kontraindiziert ist, beispielsweise bei Verdacht auf Wirbelsäulenverletzungen oder Beckenfrakturen.
- Seitenlage (stabile Seitenlage)
- Wird bei bewusstlosen Patienten ohne Trauma eingesetzt, um die Atemwege frei zu halten und eine Aspiration zu verhindern.
- Indikationen:
- Bewusstlosigkeit bei erhaltenem Atemschutzreflex
- Erbrechen oder Gefahr der Aspiration
- Trendelenburg-Lagerung
- Der gesamte Körper wird in Schräglage gebracht, mit dem Kopf tiefer als die Beine. Diese Methode wird jedoch seltener empfohlen, da sie den intrakraniellen Druck erhöhen und Atemprobleme verschlechtern kann.
- Bein-Kompression statt Hochlagerung
- Wenn eine Lagerung der Beine nicht möglich ist, können elastische Bandagen oder Kompressionsgeräte verwendet werden, um das venöse Blut aus den unteren Extremitäten in den zentralen Kreislauf zu mobilisieren.
Kombination mit anderen Maßnahmen
Die Schocklagerung allein reicht selten aus, um den Kreislauf dauerhaft zu stabilisieren. Eine erfolgreiche Behandlung des Schocks erfordert meist eine Kombination aus Lagerung, medikamentösen und invasiven Maßnahmen sowie einer Behandlung der Grunderkrankung.
- Volumentherapie
- Bei hypovolämischen Zuständen ist die intravenöse Gabe von Flüssigkeiten essenziell.
- Kristalloide (z. B. Ringer-Lösung, NaCl 0,9 %) oder Kolloide (z. B. Hydroxyethylstärke) werden verwendet, um das intravaskuläre Volumen zu erhöhen.
- Wichtig: Die Flüssigkeitstherapie muss individuell angepasst werden, um eine Überinfusion zu vermeiden.
- Vasopressoren und Inotropika
- Bei distributivem oder kardiogenem Schock können Medikamente zur Unterstützung des Kreislaufs notwendig sein:
- Noradrenalin: Erhöht den Blutdruck durch Vasokonstriktion.
- Dobutamin: Steigert die Pumpfunktion des Herzens bei kardiogener Insuffizienz.
- Adrenalin: Wird bei anaphylaktischem Schock und Reanimationssituationen eingesetzt.
- Bei distributivem oder kardiogenem Schock können Medikamente zur Unterstützung des Kreislaufs notwendig sein:
- Sauerstoffgabe und Atemunterstützung
- Eine ausreichende Sauerstoffversorgung ist bei jedem Schockzustand entscheidend.
- Maßnahmen umfassen:
- Sauerstoffgabe über Maske oder Nasenbrille
- Nicht-invasive Beatmung (CPAP) bei Lungenödem oder respiratorischer Insuffizienz
- Intubation und invasive Beatmung bei schwerem Schock oder Bewusstlosigkeit
- Bluttransfusionen
- Bei massivem Blutverlust ist eine Transfusion von Erythrozytenkonzentraten notwendig, um die Sauerstofftransportkapazität des Blutes wiederherzustellen.
- Kombination mit Gerinnungsprodukten wie Fresh Frozen Plasma (FFP) oder Thrombozyten kann bei schwerer Blutung erforderlich sein.
- Schockursachen-spezifische Therapie
- Sepsis: Antibiose, Volumentherapie und Vasopressoren gemäß den Sepsis-Leitlinien.
- Anaphylaxie: Adrenalin, Antihistaminika und Kortikosteroide.
- Kardiogener Schock: Koronarintervention (z. B. PCI), intraaortale Ballonpumpe oder mechanische Kreislaufunterstützung (z. B. ECMO).
- Hypovolämischer Schock durch Blutung: Chirurgische Blutstillung oder endovaskuläre Maßnahmen (z. B. Embolisation).
- Wärmeerhalt und Hypothermiemanagement
- Hypothermie verschlechtert die Kreislaufsituation und Gerinnungsfunktion. Maßnahmen zur Wärmeerhaltung wie Decken, Wärmematten oder warme Infusionslösungen sind essenziell.
- Monitoring und invasive Maßnahmen
- Die kontinuierliche Überwachung von Herz-Kreislauf-Parametern ist bei schwerem Schock notwendig:
- Blutdruckmessung (nicht-invasiv oder invasiv)
- Herzzeitvolumenmessung (z. B. PiCCO oder Swan-Ganz-Katheter)
- Zentralvenöse Sauerstoffsättigung (ScvO2) zur Beurteilung der Organperfusion
- Die kontinuierliche Überwachung von Herz-Kreislauf-Parametern ist bei schwerem Schock notwendig:
Zusammenfassung
Die Schocklagerung (Autotransfusionslagerung) ist eine Notfallmaßnahme zur Kreislaufstabilisierung, bei der die Beine um 20–30 Grad angehoben werden, um den venösen Rückfluss zu erhöhen. Sie wird häufig bei hypovolämischem Schock, orthostatischer Hypotonie oder Synkopen eingesetzt, ist jedoch kontraindiziert bei kardiogenem Schock, Schädel-Hirn-Trauma oder schweren pulmonalen Erkrankungen. Die Maßnahme verbessert kurzfristig die Durchblutung lebenswichtiger Organe, ersetzt jedoch keine kausale Therapie. Die Durchführung ist einfach: flache Lagerung des Oberkörpers, Hochlagerung der Beine und engmaschige Überwachung. Obwohl Studien gemischte Ergebnisse zeigen, bleibt die Schocklagerung ein wertvolles Instrument der Erstversorgung, besonders in Kombination mit Volumentherapie und Medikamenten.
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