Florence Nightingale und Agnes Karll: Einfluß auf die Pflege

Florence Nightingale und Agnes Karll: Zwei Pionierinnen, die durch Hygiene, Ausbildung und Reformen die Pflege grundlegend prägten und professionalisierten.

Stephan Wäsche
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Florence Nightingale legte den Grundstein der modernen Pflege mit Hygiene und Ausbildung, Agnes Karll stärkte Pflegekräfte durch berufspolitisches Engagement und internationale Vernetzung. Beide prägten die Professionalisierung.© Foto: Stephan Wäsche (Medirio)

Die Pflege ist eine der zentralen Säulen des Gesundheitssystems, und ihre Entwicklung wurde maßgeblich durch das Wirken herausragender Persönlichkeiten geprägt. Florence Nightingale (1820–1910) und Agnes Karll (1868–1927) zählen zu den bedeutendsten Figuren der Pflegegeschichte. Beide Frauen trugen auf unterschiedliche Weise zur Professionalisierung, Verbesserung und gesellschaftlichen Anerkennung der Pflege bei. Ihre Errungenschaften beeinflussen die Pflegepraxis und -ausbildung bis heute.

Florence Nightingale: Begründerin der modernen Krankenpflege

Leben und Motivation

Florence Nightingale wurde 1820 in eine wohlhabende britische Familie geboren. Trotz ihres privilegierten Hintergrunds fühlte sie sich früh zum Dienst am Menschen berufen, was sie als einen göttlichen Auftrag empfand. Gegen den Widerstand ihrer Familie, die eine Ehe und gesellschaftliche Verpflichtungen für ihre Tochter vorgesehen hatte, widmete sie sich der Krankenpflege. Diese Entscheidung war zu ihrer Zeit außergewöhnlich, da Pflege in England als niedrig angesehen wurde und meist von ungebildeten Frauen ausgeübt wurde.

Der Krimkrieg: Die Geburtsstunde ihres Einflusses

Nightingales Ruhm begann mit ihrer Tätigkeit im Krimkrieg (1853–1856). Sie wurde von der britischen Regierung beauftragt, mit einem Team von 38 Krankenschwestern die katastrophalen Zustände in britischen Lazaretten in Scutari zu verbessern. Die dortigen Bedingungen waren geprägt von mangelnder Hygiene, Überfüllung, schlechter Ernährung und einem Mangel an medizinischen Ressourcen. Krankheiten wie Typhus, Cholera und Dysenterie forderten mehr Opfer als die eigentlichen Kriegsverletzungen.

Durch Florence Nightingales Maßnahmen – darunter regelmäßige Reinigung, verbesserte Belüftung und eine nahrhafte Ernährung – sank die Sterblichkeitsrate drastisch, von etwa 42 % auf 2 %. Nightingale führte erstmals systematische Datenerhebungen und statistische Analysen durch, um die Ursachen der hohen Sterblichkeit zu ermitteln und zu dokumentieren.

Statistikerin und Reformerin

Florence Nightingale war nicht nur eine herausragende Pflegerin, sondern auch eine Pionierin der Statistik. Sie entwickelte den sogenannten “Nightingale-Rosengrafen”, mit dem sie die Todesursachen in den Lazaretten visualisierte. Ihre Darstellungen halfen, politische Entscheidungsträger von der Notwendigkeit grundlegender Reformen im Gesundheitswesen zu überzeugen.

Nightingales Schriften, wie ihr berühmtes Buch Notes on Nursing: What It Is and What It Is Not (1859), wurden zum Standardwerk für die Pflegeausbildung. Sie legte darin grundlegende Prinzipien dar, die von der Bedeutung der Hygiene über die richtige Ernährung bis zur Beobachtung der Patienten reichten.

Die Nightingale School und der Beginn der Pflegeausbildung

1860 gründete sie die Florence Nightingale Training School for Nurses am St. Thomas’ Hospital in London. Diese Schule war die erste Institution, die eine strukturierte und standardisierte Ausbildung für Pflegekräfte anbot. Das Curriculum umfasste theoretische Schulungen und praktische Anleitungen, wodurch die Pflege erstmals als anspruchsvoller Beruf anerkannt wurde. Die Absolventinnen dieser Schule wurden als “Nightingale Nurses” bekannt und verbreiteten ihre Methoden weltweit.

Einfluss auf das öffentliche Gesundheitswesen

Neben ihrer Arbeit in der Krankenpflege setzte sich Florence Nightingale für umfassende Reformen des öffentlichen Gesundheitswesens ein. Sie wirkte an der Verbesserung der sanitären Infrastruktur in Städten, Krankenhäusern und ländlichen Gebieten mit und prägte die Gesundheitsreformbewegung des 19. Jahrhunderts. Ihre Erkenntnisse hatten weitreichende Auswirkungen auf die Bauweise von Krankenhäusern und die Organisation von Gesundheitssystemen.

Agnes Karll: Pionierin der Pflege in Deutschland

Lebensweg und frühe Erfahrungen

Agnes Karll wurde 1868 in Mecklenburg geboren. Sie begann ihre Laufbahn in der Krankenpflege im Jahr 1893 in Berlin. Bereits in ihren ersten Berufsjahren erkannte sie die prekäre Situation der Pflegekräfte in Deutschland: schlechte Arbeitsbedingungen, unzureichende Bezahlung, fehlende Anerkennung und ein Mangel an einheitlichen Ausbildungsstandards.

Karlls Erfahrungen weckten in ihr das Bewusstsein, dass Pflegekräfte nicht nur fachliche Kompetenzen, sondern auch ein rechtliches und berufliches Fundament benötigen, um ihren Aufgaben gerecht zu werden. Diese Erkenntnis motivierte sie, sich aktiv für die Professionalisierung der Pflege einzusetzen.

Gründung des Berufsverbands der Krankenpflegerinnen Deutschlands

1903 gründete Agnes Karll den “Berufsverband der Krankenpflegerinnen Deutschlands”, der sich für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und die rechtliche Anerkennung der Pflege starkmachte. Der Verband, der später in den Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) überging, setzte sich unter Karlls Leitung für einheitliche Ausbildungsstandards, eine angemessene Entlohnung und die Förderung der Pflege als eigenständigen Beruf ein.

Pflege als Profession

Agnes Karll betonte, dass Pflege nicht nur eine Tätigkeit, sondern eine Profession sei, die wissenschaftliche Kenntnisse, ethische Prinzipien und soziale Kompetenzen erfordert. Sie forderte eine klare Abgrenzung zwischen Pflege und medizinischen Tätigkeiten, um die Autonomie der Pflegekräfte zu stärken.

Internationale Zusammenarbeit

Karll engagierte sich nicht nur national, sondern auch international. Sie war Mitbegründerin des International Council of Nurses (ICN) und dessen Präsidentin von 1912 bis 1922. In dieser Funktion förderte sie den internationalen Austausch über Pflegepraktiken und setzte sich für die Entwicklung globaler Standards ein. Der ICN war ein Meilenstein in der internationalen Zusammenarbeit und trug dazu bei, die Pflege weltweit zu professionalisieren.

Reform der Pflegeausbildung

Agnes Karll kämpfte für eine wissenschaftlich fundierte Pflegeausbildung, die sowohl medizinisches Wissen als auch pädagogische und soziale Inhalte umfasst. Ihre Ansätze beeinflussten maßgeblich die Gestaltung der Pflegelehrpläne in Deutschland und darüber hinaus.

Karlls Vermächtnis

Agnes Karlls Lebenswerk schuf die Grundlage für die Pflege als eigenständigen und anerkannten Beruf in Deutschland. Ihr Engagement trug dazu bei, die gesellschaftliche Wahrnehmung der Pflege zu verändern und Pflegekräfte als unverzichtbare Fachkräfte im Gesundheitswesen zu etablieren.

Gemeinsamkeiten und Unterschiede: Zwei Frauen, ein Ziel

Florence Nightingale und Agnes Karll hatten trotz ihrer unterschiedlichen Lebensumstände und Zeitperioden ein gemeinsames Ziel: die Verbesserung der Pflege als Beruf, ihre Anerkennung in der Gesellschaft und die Förderung von Standards, die eine qualitativ hochwertige Betreuung von Patienten ermöglichen. Ihre Ansätze und Schwerpunkte spiegelten jedoch die spezifischen Herausforderungen ihrer jeweiligen historischen und kulturellen Kontexte wider.

Gemeinsamkeiten

  • Vision für die Pflege als Profession
    Beide Frauen sahen die Pflege nicht als bloße Tätigkeit, sondern als anspruchsvolle Profession, die wissenschaftliches Wissen, soziale Kompetenz und ethische Grundsätze erfordert. Sie wollten die Pflege aus ihrem damals niedrigen gesellschaftlichen Ansehen heben und als eigenständigen, respektierten Beruf etablieren.
  • Betonung der Hygiene und Prävention
    Sowohl Nightingale als auch Karll erkannten die grundlegende Bedeutung von Hygiene und Prävention für die Gesundheit und das Wohlbefinden von Patienten. Nightingale führte Hygienepraktiken in den Lazaretten des Krimkriegs ein, während Karll in Deutschland für den gleichen Stellenwert von hygienischen und präventiven Maßnahmen plädierte.
  • Fokus auf Ausbildung und Standardisierung
    Beide Frauen setzten sich für eine systematische und standardisierte Ausbildung von Pflegekräften ein. Sie erkannten, dass eine strukturierte Schulung und wissenschaftlich fundierte Inhalte entscheidend sind, um den Anforderungen des Berufs gerecht zu werden und die Qualität der Pflege zu sichern.
  • Stärkung der beruflichen Autonomie
    Nightingale und Karll waren überzeugt, dass Pflegekräfte eine größere berufliche Autonomie benötigen, um ihre Aufgaben verantwortungsvoll ausüben zu können. Sie forderten klar definierte Rollen und Kompetenzen für Pflegekräfte, unabhängig von ärztlichen Tätigkeiten.
  • Internationale Relevanz
    Beide Frauen hatten einen Einfluss, der weit über die Grenzen ihrer Heimatländer hinausging. Nightingales Methoden wurden international übernommen, und Karll engagierte sich durch ihre Präsidentschaft im International Council of Nurses (ICN) für die globale Zusammenarbeit und Weiterentwicklung der Pflege.
  • Ethisches Engagement
    Sowohl Nightingale als auch Karll sahen die Pflege als einen Beruf mit hohen ethischen Anforderungen. Sie betonten den respektvollen Umgang mit Patienten, das Mitgefühl und die Verantwortung, die Pflegekräfte gegenüber den ihnen anvertrauten Menschen tragen.

Unterschiede

Historischer Kontext

  • Florence Nightingale
    Arbeitete im viktorianischen England des 19. Jahrhunderts, einer Zeit, die von rigiden gesellschaftlichen Normen und einer raschen Industrialisierung geprägt war. Sie setzte in einer patriarchalischen Gesellschaft neue Maßstäbe und nutzte ihren privilegierten Status, um Reformen voranzutreiben.
  • Agnes Karll
    Lebte in Deutschland in der Kaiserzeit und später in der Weimarer Republik. Ihre Arbeit fand in einer Zeit statt, in der Pflegekräfte mit unzureichenden Arbeitsbedingungen und fehlender Anerkennung kämpften. Karll setzte sich aktiv für die Rechte von Pflegekräften und bessere Arbeitsverhältnisse ein.

Ansätze zur Veränderung

  • Florence Nightingale
    Konzentrierte sich vor allem auf praktische Reformen, insbesondere in der Hygiene und Krankenhausorganisation. Sie gründete eine Pflegeschule, um ihre Prinzipien zu verbreiten, und arbeitete mit Statistiken, um die Notwendigkeit von Reformen wissenschaftlich zu untermauern.
  • Agnes Karll
    Verfolgte einen stärker politisch und organisatorisch ausgerichteten Ansatz. Sie gründete den Berufsverband der Krankenpflegerinnen Deutschlands und setzte sich auf politischer Ebene für die Anerkennung der Pflege als Beruf ein. Zudem war sie international aktiv und förderte den Austausch durch den ICN.

Schwerpunkt der Arbeit

  • Florence Nightingale
    Legte den Schwerpunkt auf die Verbesserung der Bedingungen für Patienten und die Reform des öffentlichen Gesundheitswesens. Ihre Arbeit zielte darauf ab, die Gesundheitsversorgung durch Hygiene und Prävention zu verbessern.
  • Agnes Karll
    Fokussierte sich stärker auf die Rechte der Pflegekräfte, darunter angemessene Arbeitsbedingungen, faire Bezahlung und die Einführung verbindlicher Ausbildungsstandards. Sie betrachtete die Stärkung der Pflegekräfte als Voraussetzung für eine bessere Patientenversorgung.

Art der Institutionalisierung

  • Florence Nightingale
    Gründete eine Schule für Krankenschwestern, die zu einem Modell für Pflegeausbildungseinrichtungen weltweit wurde. Ihr Ansatz war, durch Bildung die Qualität der Pflege zu verbessern und neue Standards zu setzen.
  • Agnes Karll
    Gründete einen Berufsverband, um die Interessen von Pflegekräften zu vertreten und politische Reformen voranzutreiben. Sie sah in der kollektiven Organisation der Pflegekräfte einen Schlüssel zur Professionalisierung.

Persönliche Motivation

  • Florence Nightingale
    Ihre Arbeit war stark von ihrem religiösen Glauben geprägt, den sie als Grundlage ihrer Berufung verstand. Sie sah ihre Mission darin, durch Pflege und Hygiene das Leiden zu verringern und den göttlichen Willen zu erfüllen.
  • Agnes Karll
    Ihre Motivation war pragmatischer und politischer Natur. Sie wollte den Pflegekräften eine Stimme geben und ihnen ein würdiges Arbeitsumfeld schaffen, das ihrer anspruchsvollen Tätigkeit gerecht wird.

Anhaltender Einfluss auf die heutige Pflege

Die Errungenschaften von Florence Nightingale und Agnes Karll sind bis heute spürbar. Ihr Wirken hat die Pflege in wesentlichen Bereichen geprägt:

  • Ausbildung
    Ihre Forderungen nach einer wissenschaftlich fundierten und standardisierten Ausbildung bilden die Grundlage moderner Pflegeschulen und Studiengänge.
  • Ethik
    Beide Frauen betonten die Bedeutung von Mitgefühl, Respekt und Verantwortung im Umgang mit Patienten – Werte, die bis heute den Pflegeberuf prägen.
  • Berufsbild
    Die von ihnen etablierten Standards trugen dazu bei, die Pflege als eigenständigen und anerkannten Beruf zu etablieren.
  • Politische Arbeit
    Karlls Engagement für die Rechte von Pflegekräften ist aktueller denn je, insbesondere in Diskussionen über Arbeitsbedingungen und Vergütung.

Zusammenfassung

Florence Nightingale und Agnes Karll zählen zu den bedeutendsten Pionierinnen der Pflege. Nightingale revolutionierte im 19. Jahrhundert die Krankenpflege durch Hygiene- und Präventionsmaßnahmen sowie die Einführung einer systematischen Pflegeausbildung, insbesondere durch ihre “Nightingale Training School”. Ihre wissenschaftliche Herangehensweise und Reformen beeinflussten das Gesundheitswesen weltweit. Agnes Karll prägte die Pflege in Deutschland, indem sie 1903 den Berufsverband der Krankenpflegerinnen gründete, für bessere Arbeitsbedingungen kämpfte und die Professionalisierung der Pflege vorantrieb. Beide Frauen setzten Standards, die bis heute die Pflegepraxis, Ausbildung und ethischen Werte prägen.

Quellen

  • Bostridge, M. (2008). Florence Nightingale: The Woman and Her Legend. London: Viking Penguin.
  • Dossey, B. M. (2010). Florence Nightingale: Mystic, Visionary, Healer. 16th ed. Philadelphia: F.A. Davis Company.
  • Hughes, C. (2005). Women Healers in the Modern Era. New York: Routledge.
  • Karll, A. (1927). Die Krankenpflege im Wandel der Zeit: Eine Darstellung ihrer Entwicklung in Deutschland. Berlin: Springer Verlag.
  • McDonald, L. (2012). Florence Nightingale at First Hand: Vision, Power, Legacy. Ontario: Wilfrid Laurier University Press.
  • Tiedtke, J. (2011). Agnes Karll: Die Entwicklung der Pflege als Profession. Stuttgart: Thieme.
  • Woodham-Smith, C. (1951). Florence Nightingale: A Biography. London: Constable and Company Ltd.

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