Hippokrates

Hippokrates von Kos gilt als Vater der Medizin, revolutionierte die Medizin durch rationale, empirische Ansätze und hinterließ den bis heute einflussreichen hippokratischen Eid.

Stephan Wäsche
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Hippokrates von Kos wurde um 460 v. Chr. auf der griechischen Insel Kos geboren und starb um 370 v. Chr.. Er gilt als einer der bedeutendsten Ärzte der Antike.© Foto: Stephan Wäsche (Medirio)

Hippokrates von Kos (* um 460 v. Chr. auf der Insel Kos; † um 370 v. Chr. in Larisa) ist eine zentrale Figur in der Geschichte der Medizin und wird oft als “Vater der Medizin” bezeichnet. Er revolutionierte das medizinische Denken seiner Zeit, indem er die bis dahin vorherrschenden mystischen und religiösen Erklärungsansätze für Krankheiten in Frage stellte und stattdessen einen wissenschaftlich-rationalen Zugang zur Medizin entwickelte. Seine Ansichten zur Gesundheit, Krankheit, Ethik und Medizin beeinflussten die Medizingeschichte über Jahrtausende hinweg. Ein entscheidendes Element seines Erbes ist der sogenannte „hippokratische Eid“, der in verschiedenen modernen Formen bis heute von Ärzten auf der ganzen Welt geschworen wird.

Hippokrates von Kos
Beruf
griechischer Arzt und Lehrer
Geboren
um 460 v. Chr. in Kos, Griechenland
Gestorben
um 370 v. Chr. in Larisa, Griechenland
Spitzname
Vater der Medizin

Leben und historische Einordnung

Über das Leben von Hippokrates sind nur wenige verlässliche Informationen überliefert, was die Rekonstruktion seiner Biografie erschwert. Dies liegt unter anderem daran, dass viele Legenden und Mythen um seine Person entstanden sind. Man geht davon aus, dass Hippokrates um 460 v. Chr. auf der griechischen Insel Kos geboren wurde, die in der Antike als medizinisches Zentrum bekannt war. Seine Familie, die der asklepiadischen Tradition angehörte, soll sich über Generationen hinweg mit der Heilkunst beschäftigt haben. Sie berief sich auf den Heilgott Asklepios, was darauf hindeutet, dass Hippokrates in eine lange Tradition des Heilens hineingeboren wurde.

Kos selbst war nicht nur bekannt für sein Heiligtum des Asklepios, sondern auch für die damit verbundenen medizinischen Praktiken. Dieses Heiligtum zog Menschen an, die sowohl spirituelle als auch körperliche Heilung suchten. Es ist anzunehmen, dass Hippokrates dort erste Einblicke in die medizinische Praxis erhielt. Seine Ausbildung und sein medizinisches Wissen erweiterten sich wahrscheinlich durch Reisen in andere griechische Städte wie Athen, wo er möglicherweise Kontakt mit anderen Heilkundigen hatte.

Es gibt Berichte, dass er Schüler unterrichtete und als Arzt in verschiedenen Teilen der griechischen Welt praktizierte, aber genaue Details sind rar. Sein Leben wurde zu einem symbolischen Ideal für die Entwicklung der Medizin in der Antike.

Die medizinische Revolution: Abkehr vom Aberglauben

Zu Hippokrates’ Zeiten waren Krankheiten oft mystisch oder religiös begründet. Viele glaubten, dass Krankheiten eine Strafe der Götter für moralische Verfehlungen oder Verstöße gegen religiöse Gebote seien. Dementsprechend bestanden die Behandlungsansätze häufig aus rituellen Reinigungen, Opfergaben und der Anrufung göttlicher Kräfte. Dies galt insbesondere in der griechischen Heiltradition, die eng mit der Verehrung von Heilgöttern wie Asklepios verbunden war.

Hippokrates lehnte diese mystischen Erklärungsmodelle jedoch ab und legte den Grundstein für eine rationale, empirisch basierte Medizin. In seiner Vorstellung waren Krankheiten keine göttlichen Strafen, sondern das Resultat natürlicher Ursachen, die im menschlichen Körper und seiner Umgebung zu suchen waren. Damit wandte er sich von der religiösen Vorstellung des Krankheitsursprungs ab und entwickelte ein wissenschaftlicheres Verständnis des menschlichen Körpers und seiner Erkrankungen.

Humoralpathologie

Eines der zentralen Konzepte, die Hippokrates und seine Anhänger entwickelten, war die Humoralpathologie. Diese Lehre besagte, dass die Gesundheit des Menschen von einem Gleichgewicht der vier Körpersäfte – Blut, Schleim, gelbe Galle und schwarze Galle – abhänge. Jeder dieser Säfte war mit bestimmten Eigenschaften verbunden (warm, kalt, feucht, trocken) und repräsentierte verschiedene Aspekte des menschlichen Körpers. Ein Ungleichgewicht dieser Säfte führte nach Hippokrates zu Krankheiten. Aufgabe des Arztes war es, dieses Gleichgewicht durch eine geeignete Behandlung wiederherzustellen, sei es durch Diät, Medikamente oder chirurgische Eingriffe.

Ein weiteres Prinzip, das Hippokrates etablierte, war die Prognose. Er betonte, dass es nicht nur wichtig sei, eine Krankheit zu diagnostizieren, sondern auch deren Verlauf vorherzusagen. Dies gab dem Arzt die Möglichkeit, dem Patienten realistische Erwartungen zu vermitteln und angemessene Behandlungspläne zu erstellen.

Der Hippokratische Eid

Der nach ihm benannte Hippokratische Eid ist eines der bekanntesten Vermächtnisse von Hippokrates. Obwohl nicht sicher ist, ob der Eid tatsächlich von Hippokrates selbst verfasst wurde oder erst in der späteren Tradition seiner Schule entstand, repräsentiert er die ethischen Prinzipien, die Hippokrates und seine Nachfolger in der medizinischen Praxis befolgten.

Der ursprüngliche Eid beginnt mit einem Schwur auf die Götter und enthält dann eine Reihe von moralischen und ethischen Verpflichtungen, die der Arzt gegenüber seinen Patienten und der Gesellschaft hat. Diese beinhalten unter anderem:

  • Der Arzt soll sein Wissen zum Wohl des Patienten einsetzen. Er soll sich an die Kunst der Heilung halten und keine gefährlichen oder schädlichen Eingriffe vornehmen.
  • Der Arzt soll absolute Vertraulichkeit wahren. Alles, was er über den Zustand des Patienten erfährt, sei es durch Diagnose oder Behandlung, soll streng vertraulich behandelt werden.
  • Der Arzt soll keine Abtreibungen oder Euthanasie durchführen. Dies spiegelt die ethischen Grundsätze der damaligen Zeit wider und ist in modernen medizinischen Eiden oft abgemildert oder verändert worden.

Obwohl der Hippokratische Eid in seiner ursprünglichen Form heute kaum noch verwendet wird, dienen seine Prinzipien als Grundlage für die moderne medizinische Ethik. Das Konzept, dass der Arzt zum Wohle des Patienten handelt und dabei moralischen Richtlinien folgt, bleibt bis heute eine zentrale Maxime.

Der Hippokratische Korpus

Ein weiteres wichtiges Erbe von Hippokrates ist der Hippokratische Korpus, eine Sammlung von etwa 60 medizinischen Schriften, die unterschiedliche Aspekte der Medizin behandeln. Diese Werke umfassen Themen wie Diagnostik, Prognose, Therapie und Ethik. Obwohl es unwahrscheinlich ist, dass Hippokrates selbst alle diese Schriften verfasst hat, spiegeln sie die Gedankenwelt seiner Zeit wider und wurden ihm und seiner Schule zugeschrieben.

Im Hippokratischen Korpus wird großer Wert auf die Beobachtung von Symptomen gelegt. Die Schriften betonen, dass ein guter Arzt die Fähigkeit haben muss, die verschiedenen Symptome eines Patienten genau zu beobachten, um eine korrekte Diagnose zu stellen. Diese Beobachtungsgabe ist eine der größten Stärken der hippokratischen Medizin und beeinflusste die Entwicklung der klinischen Medizin nachhaltig.

Eines der bekanntesten Werke des Hippokratischen Korpus ist die Schrift Über die Luft, die Wasser und die Orte, in der Hippokrates beschreibt, wie die Umweltbedingungen wie Klima und Geografie die Gesundheit eines Menschen beeinflussen können. Diese frühe Erkenntnis der Umweltmedizin zeigte, wie wichtig es war, den Patienten im Kontext seiner Umgebung zu betrachten, anstatt isoliert auf seine körperlichen Symptome zu schauen.

Der Hippokratische Korpus diente über viele Jahrhunderte hinweg als grundlegende Lektüre für Ärzte und beeinflusste die Medizin bis ins Mittelalter und darüber hinaus.

Bedeutung für die moderne Medizin

Hippokrates’ Einfluss auf die moderne Medizin kann kaum überschätzt werden. Er legte den Grundstein für die Entwicklung einer systematischen und rationalen Medizin, die sich auf Beobachtung und empirische Erkenntnisse stützt. Diese Herangehensweise ist bis heute eine wesentliche Säule der medizinischen Wissenschaft.

Zwar sind viele von Hippokrates’ Theorien, insbesondere die Humoralpathologie, durch moderne medizinische Erkenntnisse überholt worden, doch die Grundprinzipien seiner Arbeit – sorgfältige Beobachtung, rationales Denken, die Bedeutung des Gleichgewichts im Körper und ethische Verantwortung – bleiben von zentraler Bedeutung.

Auch das Konzept der Prognose, das Hippokrates eingeführt hat, ist heute noch von enormer Bedeutung. Ärzte müssen in der Lage sein, nicht nur eine Diagnose zu stellen, sondern auch den weiteren Verlauf einer Krankheit abzuschätzen, um eine geeignete Therapie anbieten zu können.

Sein Vermächtnis zeigt sich auch in der anhaltenden Bedeutung des hippokratischen Eides, der zwar in moderner Form angewendet wird, aber weiterhin die ethischen Verpflichtungen von Ärzten definiert.

Die medizinische Schule von Kos

Ein weiteres bedeutendes Element von Hippokrates’ Vermächtnis ist die Medizinische Schule von Kos, die unter seiner Leitung oder zumindest unter seinem Einfluss zu einem der angesehensten medizinischen Zentren der Antike wurde. Diese Schule war bekannt für ihre rationalen Methoden der Diagnose und Behandlung und für die Ausbildung von Ärzten, die diese Prinzipien weitertrugen.

Die Medizinische Schule von Kos stand für eine ganzheitliche Betrachtung des Menschen. Neben den physischen Symptomen wurden auch Umweltfaktoren, Ernährung und Lebensweise in die Diagnose einbezogen. Diese Herangehensweise, die heute als ganzheitliche Medizin bezeichnet wird, war für ihre Zeit revolutionär.

Nachwirkung und Kritik

Trotz seines enormen Einflusses blieb Hippokrates’ Werk nicht ohne Kritik. Insbesondere die Theorie der vier Körpersäfte wurde im Laufe der Zeit von neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen widerlegt. Mit der Entdeckung der Zelltheorie und der Bakteriologie im 19. Jahrhundert – insbesondere durch die Arbeiten von Louis Pasteur und Robert Koch – wurde die Humoralpathologie als veraltet angesehen. Krankheiten wurden nicht mehr als Ungleichgewicht der Körpersäfte betrachtet, sondern als das Resultat von Mikroorganismen und anderen spezifischen biologischen Ursachen.

Trotzdem bleibt Hippokrates eine symbolträchtige Figur in der Medizingeschichte. Er steht für den Beginn einer Wissenschaft, die auf Beobachtung, Erfahrung und rationalem Denken basiert, anstatt auf mystischen oder religiösen Vorstellungen. Seine ethischen Grundsätze prägen die Medizin bis heute.

Quellen und Literatur

  • Nutton, V. (2004) Ancient Medicine. London: Routledge.
  • Jouanna, J. (1999) Hippocrates. Baltimore: Johns Hopkins University Press.
  • Lonie, I.M. (1981) The Hippocratic Treatises “On Generation”, “On the Nature of the Child”, “Diseases IV”. Berlin: De Gruyter.
  • Edelstein, L. (1967) Ancient Medicine: Selected Papers of Ludwig Edelstein. Baltimore: Johns Hopkins University Press.
  • Smith, W.D. (1979) The Hippocratic Tradition. Ithaca, NY: Cornell University Press.
  • Von Staden, H. (1992) “Hippocrates and the Origins of the Scientific Tradition”, in: French, R. and Wear, A. (eds.) The Medical Renaissance of the Sixteenth Century. Cambridge: Cambridge University Press, pp. 1-12.
  • Temkin, O. (1973) Hippocrates in a World of Pagans and Christians. Baltimore: Johns Hopkins University Press.
  • Lloyd, G.E.R. (1978) Hippocratic Writings. Harmondsworth: Penguin Classics.

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