Wie entsteht Angst im Gehirn?

Angst entsteht im Gehirn durch das Zusammenspiel von Amygdala, Hippocampus und präfrontalem Kortex, die Bedrohungen erkennen, verarbeiten und regulieren. Neurotransmitter wie GABA und Serotonin beeinflussen dabei die Reaktionen.

Stephan Wäsche
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Das limbische System, insbesondere Amygdala und Hippocampus, steuert Angst durch Erkennung und Verarbeitung von Bedrohungen. Es aktiviert emotionale Reaktionen und speichert angstbezogene Erinnerungen.© Foto: Mart Production (Pexels)

Die Entstehung von Angst im Gehirn lässt sich noch tiefgehender erklären, wenn man die beteiligten Strukturen, neuronalen Netzwerke und biochemischen Prozesse aufschlüsselt, die miteinander interagieren, um die emotionale und körperliche Erfahrung von Angst zu erzeugen. Angst ist eine grundlegende Emotion, die unser Überleben sichert, indem sie den Körper auf potenzielle Bedrohungen vorbereitet. Dabei handelt es sich um eine komplexe Antwort, die sowohl durch bewusste als auch unbewusste Prozesse beeinflusst wird.

Das limbische System als Zentrum der Angstverarbeitung

Das limbische System ist das Zentrum der emotionalen Verarbeitung und steuert nicht nur Angst, sondern auch andere Emotionen wie Wut und Freude. Die beiden Hauptakteure bei der Entstehung von Angst im limbischen System sind die Amygdala und der Hippocampus, die eng miteinander kommunizieren und Informationen verarbeiten.

Amygdala

Die Amygdala, eine mandelförmige Struktur im medialen Temporallappen, ist der Hauptauslöser der Angstreaktion. Sie hat die Aufgabe, sensorische Informationen zu analysieren, potenzielle Bedrohungen zu erkennen und eine sofortige emotionale Reaktion hervorzurufen.

  • Bedrohungserkennung
    Die Amygdala ist darauf spezialisiert, sensorische Reize blitzschnell zu verarbeiten, um zu bestimmen, ob eine Gefahr vorliegt. Diese Reize kommen aus verschiedenen Sinnessystemen wie dem Sehen, Hören und Riechen und gelangen über den Thalamus zur Amygdala. Der Thalamus dient dabei als Umschaltstation für sensorische Informationen, bevor sie zu den höheren Hirnregionen weitergeleitet werden.
  • Fight-or-Flight-Reaktion
    Sobald die Amygdala eine Bedrohung erkennt, aktiviert sie den Hypothalamus, der die sogenannte Hypophysen-Nebennieren-Achse (HPA-Achse) stimuliert. Der Hypothalamus sendet Signale an die Hypophyse, die wiederum die Freisetzung von Hormonen (Corticotropin) veranlasst, die die Nebennieren zur Ausschüttung von Adrenalin und Cortisol anregen. Diese Hormone aktivieren die bekannten physiologischen Stressreaktionen, die bei Angst auftreten, wie erhöhter Herzschlag, beschleunigte Atmung und Muskelanspannung.
  • Schneller und langsamer Pfad
    Die Amygdala reagiert auf zwei verschiedenen Wegen auf Bedrohungen:
    • Schneller Pfad
      Die sensorischen Informationen werden direkt vom Thalamus an die Amygdala weitergeleitet, wodurch eine sofortige Reaktion ermöglicht wird. Dies ist wichtig, wenn eine schnelle Entscheidung zwischen Kampf oder Flucht notwendig ist.
    • Langsamer Pfad
      Parallel dazu gelangen die sensorischen Informationen auch in den sensorischen Kortex, wo sie detaillierter verarbeitet werden. Diese Verarbeitung ist langsamer, ermöglicht aber eine genauere Analyse der Bedrohung und kann die anfängliche Reaktion der Amygdala gegebenenfalls korrigieren (z. B. wenn sich herausstellt, dass eine wahrgenommene Bedrohung harmlos ist).

Hippocampus

Der Hippocampus, ebenfalls im medialen Temporallappen, spielt eine Schlüsselrolle bei der Kontexterkennung und dem Gedächtnis, insbesondere im Zusammenhang mit Angst und Stress. Er hilft dem Gehirn, Situationen in einen Kontext zu setzen, und trägt dazu bei, vergangene Erlebnisse zu erinnern, die mit einer Bedrohung verbunden sind.

  • Kontextuelle Unterscheidung
    Der Hippocampus ist wesentlich dafür verantwortlich, dass wir ähnliche Situationen in Bezug auf ihre Bedrohlichkeit unterscheiden können. Wenn der Hippocampus normal funktioniert, kann er uns helfen, zu erkennen, dass eine angstauslösende Situation in der Vergangenheit nicht zwangsläufig auch in der Gegenwart gefährlich ist. Eine gestörte Funktion des Hippocampus führt hingegen dazu, dass Angstreaktionen generalisiert werden – was bedeutet, dass man auch in ungefährlichen Situationen Angst empfindet.
  • Einfluss von chronischem Stress
    Chronischer Stress kann den Hippocampus negativ beeinflussen, indem er seine Größe reduziert und seine Funktionsfähigkeit beeinträchtigt. Dies ist insbesondere bei Menschen mit posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) zu beobachten, bei denen der Hippocampus oft geschrumpft ist, was zu einer ungenauen Verarbeitung von angstauslösenden Reizen führt.

Der präfrontale Kortex und die Regulation der Angst

Der präfrontale Kortex (PFC) ist ein Teil des Frontallappens und wird oft als Kontrollzentrum des Gehirns bezeichnet. Er spielt eine wesentliche Rolle bei der bewussten Kontrolle von Emotionen und der Fähigkeit, rationale Entscheidungen zu treffen. In Bezug auf Angst agiert der PFC als Regulator der Amygdala und dämpft ihre Aktivität, wenn die Bedrohung als harmlos erkannt wird.

Top-Down-Kontrolle

Der PFC ermöglicht es uns, emotionale Reaktionen durch logisches Denken und bewusste Entscheidungen zu steuern. Wenn wir zum Beispiel eine Situation rational analysieren und feststellen, dass keine reale Gefahr besteht, sendet der PFC Signale an die Amygdala, um ihre Aktivität zu reduzieren und die Angstreaktion zu dämpfen.

Fehlfunktionen bei Angststörungen

Bei Menschen mit Angststörungen ist die Kommunikation zwischen dem präfrontalen Kortex und der Amygdala oft gestört. Das bedeutet, dass die Amygdala übermäßig aktiv ist, während der PFC nicht in der Lage ist, diese Aktivität zu unterdrücken. Dies führt zu übermäßiger Angst und irrationalen Furchtreaktionen.

Die Rolle der Neurotransmitter bei Angst

Die Rolle der Neurotransmitter bei der Entstehung und Regulierung von Angst ist ein entscheidender Bestandteil des Verständnisses, wie das Gehirn auf Stress und bedrohliche Reize reagiert. Neurotransmitter sind chemische Botenstoffe, die an den Synapsen zwischen Nervenzellen (Neuronen) freigesetzt werden, um Informationen von einer Zelle zur anderen zu übertragen. In Bezug auf Angst beeinflussen verschiedene Neurotransmitter unterschiedliche Hirnregionen und -prozesse, die entweder Angstreaktionen verstärken oder dämpfen können. Die wichtigsten Neurotransmitter, die bei der Entstehung und Regulierung von Angst eine Rolle spielen, sind Glutamat, GABA, Serotonin, Noradrenalin, Dopamin und Cortisol.

Glutamat: Der wichtigste erregende Neurotransmitter

Glutamat ist der häufigste erregende Neurotransmitter im Gehirn und spielt eine zentrale Rolle bei der synaptischen Übertragung. Es ist an der Verstärkung von neuronalen Signalen beteiligt und hat damit eine direkte Auswirkung auf die Erregung von Hirnregionen, die Angst und Stress regulieren.

  • Verstärkung der Amygdala-Aktivität
    In der Amygdala, dem Hauptzentrum für die Verarbeitung von Angst, wirkt Glutamat, indem es erregende Signale zwischen den Neuronen verstärkt. Eine Überaktivität des Glutamatsystems in der Amygdala kann zu einer Überreaktion auf bedrohliche Reize führen, was bei Menschen mit Angststörungen häufig zu beobachten ist. Dies verstärkt die Angstreaktion und führt zu einer erhöhten Wachsamkeit gegenüber potenziellen Bedrohungen.
  • Lernen und Gedächtnis
    Glutamat ist auch für das Lernen und die Gedächtnisbildung im Hippocampus verantwortlich. Angstreaktionen können durch vergangene Erfahrungen geprägt sein, und das Glutamatsystem ermöglicht es dem Gehirn, diese Erinnerungen zu speichern. Allerdings kann ein Übermaß an Glutamat, besonders im Zusammenhang mit chronischem Stress, toxisch für Nervenzellen sein und zur Degeneration von Hirnregionen wie dem Hippocampus führen, was wiederum die Fähigkeit, zwischen gefährlichen und ungefährlichen Situationen zu unterscheiden, beeinträchtigt.

GABA (Gamma-Aminobuttersäure): Der wichtigste hemmende Neurotransmitter

GABA ist der wichtigste hemmende Neurotransmitter im Gehirn und spielt eine wesentliche Rolle bei der Regulierung der neuronalen Aktivität. Es wirkt beruhigend und reduziert die Erregung von Neuronen, was Angstreaktionen dämpft.

  • Angsthemmende Wirkung
    GABA wirkt der Aktivität von Glutamat entgegen, indem es die neuronale Erregung in der Amygdala und anderen Hirnregionen hemmt. Eine ausreichende GABA-Funktion sorgt dafür, dass das Gehirn nicht übermäßig auf bedrohliche Reize reagiert und die Amygdala in Schach gehalten wird.
  • GABA und Angststörungen
    Ein Ungleichgewicht zwischen erregenden und hemmenden Neurotransmittern, wie zu wenig GABA oder eine verminderte GABA-Aktivität, kann zu einer Überaktivierung von Hirnregionen wie der Amygdala führen. Dies ist häufig bei Menschen mit generalisierten Angststörungen, Panikstörungen und sozialen Angststörungen der Fall. Medikamente wie Benzodiazepine, die häufig zur Behandlung von Angststörungen verschrieben werden, verstärken die Wirkung von GABA und wirken beruhigend, indem sie die neuronale Aktivität dämpfen.
  • Stress und GABA
    Chronischer Stress kann die GABA-Übertragung beeinträchtigen, indem er die Rezeptordichte reduziert oder die Effizienz der GABA-Freisetzung verringert. Dies führt zu einer unzureichenden Hemmung der Amygdala und anderen Angstzentren im Gehirn, was zu anhaltender Angst und Übererregbarkeit führt.

Serotonin: Einfluss auf Stimmung und Angst

Serotonin ist ein Neurotransmitter, der für die Regulierung der Stimmung, des Schlafes und der Angst zuständig ist. Serotonin wird vor allem in den Raphe-Kernen im Hirnstamm produziert und projiziert in verschiedene Hirnregionen, darunter die Amygdala, der präfrontale Kortex und der Hippocampus.

  • Stimmungsregulation und Angst
    Serotonin spielt eine zentrale Rolle bei der Regulierung von Stimmung und Emotionen. Ein Ungleichgewicht im Serotoninsystem, insbesondere ein Mangel an Serotonin, wird häufig mit Angststörungen in Verbindung gebracht. Menschen mit geringem Serotoninspiegel zeigen oft erhöhte Ängstlichkeit und neigen zu Depressionen.
  • Serotonin und Amygdala
    Serotonin hilft, die Amygdala-Aktivität zu regulieren und kann ihre Übererregung bei Angst dämpfen. Ein gesunder Serotoninhaushalt sorgt dafür, dass das Gehirn nicht übermäßig auf stressige oder angstauslösende Situationen reagiert. Ein Mangel an Serotonin kann jedoch dazu führen, dass die Amygdala überaktiv wird und die Angst verstärkt.
  • Behandlung von Angststörungen
    Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRIs) sind die am häufigsten verschriebenen Medikamente zur Behandlung von Angststörungen. Sie erhöhen den Serotoninspiegel im Gehirn, indem sie die Wiederaufnahme von Serotonin in die präsynaptischen Neuronen blockieren. Dies führt zu einer Erhöhung der Verfügbarkeit von Serotonin im synaptischen Spalt und hilft, Angstzustände und Depressionen zu lindern.

Noradrenalin: Der Neurotransmitter des “Fight-or-Flight”-Systems

Noradrenalin, auch als Norepinephrin bekannt, ist ein wichtiger Neurotransmitter, der im sympathischen Nervensystem und im Gehirn wirkt und stark mit der physiologischen und emotionalen Reaktion auf Stress und Angst verbunden ist. Es wird in den Nebennieren und in spezifischen Gehirnregionen wie dem Locus coeruleus produziert.

  • Physiologische Stressreaktion
    Noradrenalin ist der Hauptakteur im sympathischen Nervensystem und verantwortlich für die “Fight-or-Flight”-Reaktion des Körpers auf eine Bedrohung. Es steigert die Herzfrequenz, erhöht den Blutdruck und mobilisiert Energiereserven, um den Körper auf eine schnelle Reaktion vorzubereiten.
  • Erhöhte Wachsamkeit und Angst
    Im Gehirn fördert Noradrenalin die Wachsamkeit und Aufmerksamkeit, indem es die Aktivität in der Amygdala und anderen stressverarbeitenden Regionen erhöht. Diese erhöhte Erregung führt zu einer intensiveren Angstreaktion. Chronisch erhöhte Noradrenalinsignale, wie sie bei Menschen mit Angststörungen auftreten, führen zu anhaltender Erregung und können Angstzustände verschlimmern.
  • Noradrenalin und Angststörungen
    Menschen mit Angststörungen haben häufig eine Überaktivierung des noradrenergen Systems. Dies führt zu einer Überreaktion auf stressige oder angstauslösende Reize, was die Angst verschärft und körperliche Symptome wie Herzrasen und Schwitzen verstärkt. Betablocker, die die Wirkung von Noradrenalin blockieren, werden oft eingesetzt, um die körperlichen Symptome von Angst zu reduzieren.

Dopamin: Die Rolle der Belohnungsverarbeitung und Motivation

Dopamin ist hauptsächlich für die Belohnungsverarbeitung, Motivation und das Gefühl von Freude verantwortlich. Allerdings spielt Dopamin auch eine komplexe Rolle bei der Angstregulation, insbesondere durch seine Interaktion mit anderen Neurotransmittern und Hirnregionen.

  • Angst und Belohnungssystem
    Das mesolimbische Dopaminsystem, das mit Belohnung und Vergnügen assoziiert wird, ist eng mit der Amygdala und anderen angstverarbeitenden Regionen verbunden. Menschen mit Angststörungen zeigen häufig eine reduzierte Dopaminaktivität im Belohnungssystem, was zu einer verminderten Fähigkeit führt, positive Reize zu verarbeiten. Dies kann eine negative Spirale aus Anhedonie (Verlust der Fähigkeit, Freude zu empfinden), sozialem Rückzug und verstärkter Angst auslösen.
  • Dopamin und Motivation
    Ein gestörtes Dopaminsystem kann auch zu einem Mangel an Motivation und Entscheidungsfindung führen, insbesondere in stressigen oder angstauslösenden Situationen. Menschen mit Angststörungen neigen dazu, Entscheidungen zu vermeiden, die sie als riskant oder belastend empfinden, was ihre Angst verschlimmern kann.

Cortisol: Das Hauptstresshormon

Cortisol, ein Hormon, das in den Nebennieren produziert wird, ist nicht direkt ein Neurotransmitter, spielt aber eine Schlüsselrolle bei der Angstregulation durch seine Beteiligung an der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse (HPA-Achse). Cortisol wird als Reaktion auf Stress freigesetzt und hat zahlreiche Auswirkungen auf Gehirn und Körper.

  • Kurzfristige Stressreaktion
    In akuten Stresssituationen ist Cortisol nützlich, da es dem Körper hilft, mit der Belastung umzugehen, indem es den Energiehaushalt reguliert und den Blutzuckerspiegel erhöht. Es trägt zur Aktivierung der Amygdala bei, um die Bedrohung zu erkennen und eine geeignete Stressreaktion auszulösen.
  • Langfristige Auswirkungen
    Chronisch erhöhte Cortisolspiegel, wie sie bei anhaltender Angst oder Stress vorkommen, können jedoch schädlich sein. Hohe Cortisolspiegel über einen längeren Zeitraum schädigen den Hippocampus, was zu Gedächtnisproblemen und einer eingeschränkten Kontexterkennung führt. Dies trägt zu generalisierter Angst bei, da das Gehirn nicht mehr in der Lage ist, zwischen tatsächlichen Bedrohungen und harmlosen Reizen zu unterscheiden.

Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse (HPA-Achse)

Die HPA-Achse ist ein neuroendokrines System, das eine Schlüsselrolle bei der physiologischen Reaktion auf Angst spielt. Wenn die Amygdala aktiviert wird, schickt sie Signale an den Hypothalamus, der wiederum die Hypophyse stimuliert. Diese sendet dann Signale an die Nebennieren, die die Stresshormone Adrenalin und Cortisol freisetzen.

Adrenalin

Dieses Hormon bereitet den Körper auf unmittelbare physische Reaktionen vor. Es erhöht die Herzfrequenz, erweitert die Bronchien und sorgt dafür, dass mehr Blut in die Muskeln gelangt.

Cortisol

Cortisol hat längerfristige Wirkungen und hilft dem Körper, auf Stress zu reagieren, indem es den Blutzuckerspiegel erhöht und den Stoffwechsel aktiviert. Chronisch erhöhte Cortisolspiegel, wie sie bei langfristiger Angst und Stress auftreten, können jedoch zu negativen gesundheitlichen Folgen führen, wie z. B. einer Schwächung des Immunsystems und einer Schädigung des Hippocampus.

Genetik und Epigenetik

Die Entstehung von Angst wird nicht nur durch die oben genannten neuronalen und chemischen Prozesse gesteuert, sondern auch stark von genetischen und epigenetischen Faktoren beeinflusst.

Genetik

Studien haben gezeigt, dass bestimmte genetische Prädispositionen die Anfälligkeit für Angststörungen erhöhen können. Gene, die die Produktion von Neurotransmittern oder Rezeptoren wie Serotonin oder GABA beeinflussen, spielen eine zentrale Rolle bei der individuellen Anfälligkeit für Angst.

Epigenetik

Epigenetische Mechanismen, bei denen Umweltfaktoren die Genexpression verändern, beeinflussen ebenfalls die Entwicklung von Angst. Zum Beispiel können traumatische Erfahrungen in der Kindheit epigenetische Veränderungen hervorrufen, die zu einer erhöhten Empfindlichkeit gegenüber Stress und Angst führen.

Auswirkungen von chronischer Angst auf das Gehirn

Langfristige Auswirkungen von chronischer Angst auf das Gehirn sind tiefgreifend und beeinflussen sowohl die Struktur als auch die Funktion des Gehirns. Diese Effekte entstehen durch die ständige Aktivierung von Stress- und Angstreaktionen, die das neuronale Gleichgewicht und die körperliche Gesundheit belasten.

Amygdala-Hyperaktivität und -Vergrößerung

Die Amygdala, die zentrale Hirnregion für die Angstverarbeitung, wird bei chronischer Angst übermäßig aktiviert. Diese anhaltende Überstimulation kann nicht nur die Aktivität der Amygdala verstärken, sondern auch zu strukturellen Veränderungen führen.

  • Verstärkte Reaktivität
    Bei chronischer Angst reagiert die Amygdala empfindlicher auf Reize, was bedeutet, dass sie oft Bedrohungen wahrnimmt, selbst wenn diese gering oder nicht existent sind. Dies führt zu übertriebenen emotionalen Reaktionen und einer erhöhten Wachsamkeit.
  • Vergrößerung der Amygdala
    Längere Phasen der Angst können zu einer Vergrößerung der Amygdala führen. Dies geschieht durch die erhöhte neuronale Aktivität, die das Wachstum von Dendriten (Nervenzellfortsätzen) fördert und die Verschaltung von Neuronen verstärkt. Diese strukturellen Veränderungen tragen dazu bei, dass die Amygdala noch sensibler auf Angst reagiert, was einen Teufelskreis aus Angst und Stress fördert.
  • Verstärkte Angstreaktionen
    Die Hyperaktivität der Amygdala bedeutet, dass das Gehirn ständig auf Alarmbereitschaft ist, was dazu führt, dass Menschen mit chronischer Angst auf Situationen überreagieren. Selbst harmlose Reize können als bedrohlich wahrgenommen werden, was eine erhöhte Angstreaktion hervorruft.

Schädigung des Hippocampus

Der Hippocampus, der für Gedächtnisbildung und Kontexterkennung zuständig ist, wird durch chronischen Stress und Angst erheblich geschädigt. Diese Veränderungen betreffen sowohl seine Struktur als auch seine Funktion.

  • Reduktion des Volumens
    Zahlreiche Studien zeigen, dass Menschen, die unter chronischer Angst oder Stress leiden, eine Verkleinerung des Hippocampus aufweisen. Dies ist auf eine Verringerung der Neuronenanzahl und der neuronalen Verbindungen im Hippocampus zurückzuführen. Chronisch hohe Cortisolspiegel (das wichtigste Stresshormon) wirken toxisch auf Hippocampusneuronen, was zum Zelltod und einer reduzierten Plastizität (Anpassungsfähigkeit) führt.
  • Beeinträchtigung des Gedächtnisses
    Ein verkleinerter Hippocampus beeinträchtigt das Kurz- und Langzeitgedächtnis, insbesondere das explizite Gedächtnis, das für das bewusste Erinnern von Fakten und Ereignissen zuständig ist. Dies kann sich in Gedächtnisverlust, Lernschwierigkeiten und einer Unfähigkeit äußern, neue Erinnerungen effektiv zu speichern oder auf bereits gespeicherte Erinnerungen zuzugreifen.
  • Verlust der Kontextwahrnehmung
    Der Hippocampus hilft dem Gehirn, zwischen gefährlichen und harmlosen Situationen zu unterscheiden, indem er frühere Erfahrungen mit dem aktuellen Kontext vergleicht. Wenn der Hippocampus geschädigt ist, verliert das Gehirn die Fähigkeit, diese Unterscheidung präzise zu treffen, was zu einer generalisierten Angst führt. Das bedeutet, dass Menschen auf viele unterschiedliche Situationen mit derselben Angst reagieren, unabhängig davon, ob diese wirklich gefährlich sind.

Präfrontale Dysfunktion

Der präfrontale Kortex (PFC) ist für höhere kognitive Funktionen wie Planen, Entscheidungsfindung und emotionale Regulation verantwortlich. Chronische Angst beeinträchtigt die Funktion dieses wichtigen Hirnareals auf mehreren Ebenen.

  • Verminderte Kontrolle der Angstreaktion
    Der PFC spielt eine entscheidende Rolle bei der Hemmung der Amygdala und der Regulation von Angst. Bei chronischer Angst wird die Fähigkeit des PFC, die Amygdala zu kontrollieren, verringert. Dies führt zu einer verstärkten und unkontrollierten Angstreaktion. Menschen mit chronischer Angst können daher Schwierigkeiten haben, ihre Emotionen zu regulieren oder rationale Entscheidungen zu treffen, da der PFC nicht effektiv arbeiten kann.
  • Verlust der Flexibilität bei Entscheidungen
    Eine Dysfunktion des PFC beeinträchtigt die Fähigkeit, auf sich ändernde Umstände angemessen zu reagieren. Menschen mit chronischer Angst haben oft Schwierigkeiten, neue Informationen zu integrieren und alternative Lösungswege zu finden. Sie neigen dazu, auf bekannte Verhaltensmuster zurückzugreifen, selbst wenn diese ineffektiv sind, was ihre Fähigkeit, aus Angstreaktionen zu lernen, einschränkt.
  • Reduzierte kognitive Leistungsfähigkeit
    Bei chronischer Angst wird die Leistung des PFC insgesamt verringert, was zu einer beeinträchtigten Konzentration, vermindertem Arbeitsgedächtnis und einer insgesamt schlechteren kognitiven Funktion führen kann. Dies hat weitreichende Auswirkungen auf das tägliche Leben, einschließlich der beruflichen und sozialen Funktion.

Veränderungen in der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse (HPA-Achse)

Die HPA-Achse ist das Hauptsystem, das den Stress im Körper reguliert. Bei chronischer Angst wird dieses System übermäßig aktiviert, was zu langfristigen physiologischen Veränderungen führt.

  • Dysregulation der Cortisolproduktion
    Bei gesunden Menschen wird Cortisol in stressigen Situationen kurzfristig freigesetzt, um den Körper auf die Bedrohung vorzubereiten. Bei chronischem Stress wird jedoch ständig zu viel Cortisol produziert, was den Körper und das Gehirn langfristig schädigt. Chronisch erhöhte Cortisolspiegel beeinträchtigen die Funktion des Immunsystems, des Stoffwechsels und des Gedächtnisses. Außerdem verstärken sie die schädlichen Auswirkungen auf den Hippocampus.
  • Übermäßige Stressreaktion
    Eine dauerhafte Aktivierung der HPA-Achse führt dazu, dass der Körper ständig in Alarmbereitschaft ist. Dies kann zu chronischer Müdigkeit, Schlaflosigkeit und einem geschwächten Immunsystem führen. Da der Körper sich nicht mehr ausreichend von Stress erholen kann, bleibt die Angst in einem Teufelskreis bestehen.

Neuronale Plastizität und strukturelle Veränderungen

Chronische Angst führt zu langfristigen Veränderungen in der neuronalen Plastizität, was die Fähigkeit des Gehirns beeinträchtigt, auf neue Erfahrungen zu reagieren und sich anzupassen.

  • Synaptische Veränderungen
    Längerfristige Angst und Stress beeinflussen die Bildung und Stärkung von Synapsen, den Verbindungen zwischen Nervenzellen. Dies wirkt sich negativ auf die Fähigkeit aus, neue neuronale Verbindungen zu bilden, was die Flexibilität des Gehirns bei der Anpassung an neue Situationen einschränkt. Diese verminderten Plastizitätsfähigkeiten verstärken das Gefühl der Hilflosigkeit und der Unfähigkeit, aus angsterfüllten Situationen zu entkommen oder Lösungen zu finden.
  • Neuronaler Zelltod
    Lang anhaltender Stress kann zum Absterben von Nervenzellen führen, insbesondere im Hippocampus, wo chronisch hohe Cortisolspiegel toxisch wirken. Dies verschlimmert die kognitive Beeinträchtigung und die Unfähigkeit, neue Informationen zu verarbeiten oder aus vergangenen Erfahrungen zu lernen.

Veränderungen im Belohnungssystem und Motivation

Chronische Angst beeinflusst auch das mesolimbische Dopaminsystem, das für Motivation und Belohnungsverarbeitung zuständig ist.

  • Verminderte Belohnungsempfindlichkeit
    Menschen mit chronischer Angst zeigen oft eine verminderte Fähigkeit, Freude oder Belohnung zu empfinden, was zu Anhedonie (Verlust der Fähigkeit, Freude zu empfinden) führen kann. Dies kann eine direkte Folge der gestörten Interaktion zwischen Amygdala und Belohnungssystem sein.
  • Motivationsverlust
    Langfristige Angst beeinträchtigt die Fähigkeit, Freude oder Erfolg aus alltäglichen Aktivitäten zu ziehen, was zu einem Mangel an Motivation führen kann. Dies hat oft zur Folge, dass Menschen sich sozial zurückziehen, was wiederum die Angst verstärken kann.

Zusammenfassung

Angst entsteht durch ein komplexes Zusammenspiel von Hirnregionen wie der Amygdala, dem Hippocampus und dem präfrontalen Kortex sowie durch Neurotransmitter wie Glutamat, GABA, Serotonin, Noradrenalin, Dopamin und Cortisol. Die Amygdala verarbeitet Bedrohungen und aktiviert die “Fight-or-Flight”-Reaktion, während der Hippocampus die Kontexterkennung steuert und der präfrontale Kortex emotionale Kontrolle ausübt. Neurotransmitter regulieren die Angstreaktion; ein Ungleichgewicht kann Angststörungen verursachen. Chronische Angst führt zu strukturellen und funktionellen Veränderungen im Gehirn, die die Reaktionsfähigkeit und kognitive Funktionen beeinträchtigen.

Quellen

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