Geschichte der Diakonissen

Die Diakonissenbewegung des 19. Jahrhunderts revolutionierte das Pflegewesen und bot Frauen eine neue Rolle in Kirche und Gesellschaft. Geprägt von christlicher Nächstenliebe, prägte sie soziale und karitative Arbeit nachhaltig.

Stephan Wäsche 296 Aufrufe
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Die Diakonissen in Kaiserswerth, gegründet 1836 von Theodor Fliedner, waren Frauen, die in einer christlichen Gemeinschaft lebten, Kranke pflegten und soziale Dienste leisteten, ohne ewige Gelübde abzulegen.© Fotot: Stephan Wäsche (Medirio)

Die Geschichte der Diakonissenbewegung ist nicht nur von religiösen und sozialen Bewegungen des 19. Jahrhunderts geprägt, sondern auch eine facettenreiche Erzählung über den sozialen Aufstieg von Frauen, die Organisation der Krankenpflege und die Entwicklung des diakonischen Dienstes als eine der wichtigsten karitativen Bewegungen in der modernen Welt. Um die Entwicklung dieser Bewegung vollständig zu verstehen, müssen wir tiefer in die historischen, theologischen, sozialen und politischen Entwicklungen eintauchen, die sowohl ihren Aufstieg als auch ihre Herausforderungen geprägt haben.

Frühe Anfänge im antiken Christentum: Die Diakonissen der Urkirche

Die Diakonissenarbeit hat Wurzeln, die bis in die frühchristliche Zeit zurückreichen, insbesondere in den ersten drei Jahrhunderten nach Christus. In den frühesten christlichen Gemeinden nahmen Diakonissen eine besondere Rolle ein, die teilweise den männlichen Diakonen ähnlich war, sich jedoch auf spezielle Aufgaben konzentrierte, die insbesondere Frauen betrafen. Bereits in den Paulusbriefen der Bibel, insbesondere im Römerbrief (Röm 16,1), wird eine Diakonisse namens Phöbe erwähnt, die für ihre Verdienste in der Gemeinde gelobt wird. Diese frühen Diakonissen kümmerten sich in erster Linie um die Armen und Kranken, nahmen an den liturgischen Aufgaben der Kirche teil und waren besonders in der Betreuung von Frauen aktiv, da es in der damaligen patriarchalischen Gesellschaft Frauen nicht erlaubt war, von Männern gepflegt oder getauft zu werden.

Das Amt der Diakonissen war ein Ausdruck der gleichwertigen, aber komplementären Rollen von Männern und Frauen in der frühen Kirche. Frauen spielten eine unverzichtbare Rolle in der christlichen Gemeinschaft, vor allem in Fragen der Pflege und der Seelsorge, was in einer Zeit, in der es keine staatlich organisierten Gesundheitsdienste gab, von immenser Bedeutung war. Die ersten Diakonissen unterstützten den Dienst an Witwen, Waisen und Fremden, die am Rande der Gesellschaft standen. Oft waren diese Frauen in den Gemeinden verwitwet oder ledig und konnten durch den Dienst als Diakonissen eine sinnvolle Lebensaufgabe finden.

Dieses Amt verschwand jedoch in den Jahrhunderten nach der Konstantinischen Wende (4. Jahrhundert), als das Christentum zur Staatsreligion des Römischen Reiches wurde. Mit der zunehmenden Institutionalisierung und Hierarchisierung der Kirche traten die Aufgaben, die früher von Diakonissen erfüllt wurden, in den Hintergrund, insbesondere in der westlichen Kirche. In der östlichen Kirche hielten sich Diakonissen noch bis ins Mittelalter, doch auch dort sank mit der Zeit ihre Bedeutung, und die monastische Tradition nahm eine dominierende Rolle ein.

Entstehung der modernen Diakonissenbewegung

Die moderne Diakonissenbewegung wurde 1836 in Kaiserswerth, einem heutigen Stadtteil von Düsseldorf, von dem Theologen und Pfarrer Theodor Fliedner (1800–1864) ins Leben gerufen. Fliedner, der in seiner Gemeinde soziale Notlagen beobachtet hatte, erkannte die Notwendigkeit einer organisierten, professionellen Pflege und sozialen Unterstützung. Er gründete die „Rheinisch-Westfälische Diakonissenanstalt“, die erste Einrichtung dieser Art in Deutschland.

Die Gründung von Kaiserswerth markiert den Beginn der Diakonissenarbeit in ihrer modernen Form. Das Konzept sah vor, dass Frauen, die Diakonissen werden wollten, in einer Art geistlicher Gemeinschaft lebten, aber anders als in katholischen Orden kein lebenslanges Gelübde ablegten. Sie konnten ihre Tätigkeit aufgeben und in die Gesellschaft zurückkehren, was ihnen mehr Flexibilität gab als den traditionellen Ordensschwestern.

Die Hauptaufgaben der Diakonissen waren die Krankenpflege, die Armenfürsorge und die Erziehung. Sie erhielten eine umfassende Ausbildung in diesen Bereichen, wodurch sie zu wichtigen Vorreiterinnen in der Entwicklung des modernen Pflegeberufs wurden.

Wachstum und Internationalisierung

Das Konzept von Kaiserswerth fand schnell Nachahmer. Überall in Deutschland und später auch in anderen Ländern Europas entstanden Diakonissenhäuser, in denen Frauen ausgebildet und in die karitative Arbeit geschickt wurden. Besonders in Zeiten großer Not, wie den Cholera-Epidemien des 19. Jahrhunderts, waren die Diakonissen eine unverzichtbare Hilfe.

Die Bewegung breitete sich nicht nur in Europa aus, sondern erlangte auch internationale Bedeutung. Eines der bekanntesten Beispiele für den Einfluss der Diakonissenarbeit ist die britische Krankenschwester Florence Nightingale. Sie besuchte das Diakonissenhaus in Kaiserswerth und wurde maßgeblich von dessen Konzept inspiriert. Nightingale gilt heute als Begründerin der modernen Krankenpflege, und ihre Ideen wurden stark von der Diakonissenbewegung beeinflusst.

Neben der Krankenpflege engagierten sich die Diakonissen zunehmend in der Mission. Es wurden Diakonissenhäuser in Afrika, Asien und Nordamerika gegründet. Die Missionsarbeit war ein wichtiger Bestandteil des diakonischen Dienstes und trug zur Verbreitung des Evangeliums und zur Verbesserung der sozialen Bedingungen in den Missionsgebieten bei.

Das Leben der Diakonissen: Strenge und Hingabe

Das Leben als Diakonisse war hart und entbehrungsreich, aber auch erfüllt von einem tiefen Sinn für die spirituelle Berufung. Die Diakonissen lebten nach strengen Regeln, die das tägliche Leben stark strukturierten. Es gab feste Zeiten für Gebet und Andacht, die Arbeit in den Krankenhäusern und Armenhäusern war körperlich anstrengend, und oft sahen sich die Diakonissen mit Krankheiten und Elend konfrontiert. Viele von ihnen arbeiteten in gefährlichen Umgebungen, insbesondere während der Epidemien des 19. Jahrhunderts, wie der Cholera oder der Tuberkulose, die in vielen europäischen Städten wüteten.

Dennoch war das Diakonissenleben auch eine Möglichkeit für Frauen, sich außerhalb der traditionellen Rollenmuster zu entfalten. Sie konnten Berufe ergreifen, die ihnen sonst verschlossen geblieben wären, und in Bereichen wie der Krankenpflege und Erziehung eine erfüllende Aufgabe finden. In einer Zeit, in der die meisten Frauen auf das Leben als Hausfrau und Mutter beschränkt waren, bot das Diakonissenhaus eine alternative Lebensform, die es Frauen ermöglichte, aktiv am öffentlichen und sozialen Leben teilzunehmen.

Das Mutterhausprinzip, das in Kaiserswerth etabliert wurde, war ein zentrales Element dieser Lebensform. Die Diakonissen lebten unter der Leitung einer Oberin, die sowohl für die spirituelle als auch für die organisatorische Leitung verantwortlich war. Die Diakonissen nannten die Oberin oft “Mutter”, was den familiären Charakter dieser Gemeinschaft betonte. Trotz der Strenge der Lebensregeln bot das Mutterhaus den Diakonissen ein Gefühl der Geborgenheit und Gemeinschaft, das für viele Frauen in der damaligen Zeit von großer Bedeutung war.

Diakonissen im 20. Jahrhundert

Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts erlebte die Diakonissenbewegung eine Reihe von Herausforderungen. Der Erste Weltkrieg und die wirtschaftlichen Krisen der Zwischenkriegszeit stellten die Diakonissenhäuser vor finanzielle und personelle Probleme. Dennoch blieben die Diakonissen in der Krankenpflege und Fürsorge aktiv und spielten während der beiden Weltkriege eine entscheidende Rolle bei der Versorgung von Verwundeten und Kranken.

Nach dem Zweiten Weltkrieg veränderten sich die sozialen und kulturellen Bedingungen in vielen westlichen Ländern. Der Aufstieg des Sozialstaats und die Professionalisierung der Krankenpflege durch staatlich geregelte Ausbildungswege führten dazu, dass die traditionelle Rolle der Diakonissen an Bedeutung verlor. Gleichzeitig ging die Zahl der Berufungen zurück, da immer weniger Frauen bereit waren, in einem streng religiösen Rahmen zu leben und zu arbeiten.

Viele Diakonissenhäuser mussten schließen oder sich neu organisieren. Einige Einrichtungen wandelten sich in moderne soziale und pflegerische Organisationen um, die unter dem Dach der evangelischen Kirche oder anderer christlicher Träger weiterbestehen. Diakonissen spielen heute oft noch eine Rolle in diesen Organisationen, aber die Zahl der aktiven Diakonissen ist stark zurückgegangen.

Das Erbe der Diakonissenbewegung: Fortbestehen und Wandel

Heute gibt es nur noch wenige traditionelle Diakonissenhäuser in Deutschland und anderen Ländern Europas. Die meisten Diakonissenhäuser haben sich in moderne diakonische Organisationen umgewandelt, die im Gesundheits- und Sozialwesen tätig sind. Diese Einrichtungen beschäftigen heute größtenteils weltliche Fachkräfte, die eine reguläre Berufsausbildung durchlaufen haben, doch die christlichen Werte der Nächstenliebe und Fürsorge bleiben eine zentrale Motivation ihrer Arbeit.

Trotz des Rückgangs der traditionellen Diakonissen hat die Bewegung ein tiefes und nachhaltiges Vermächtnis hinterlassen. Die Diakonissenbewegung war maßgeblich an der Professionalisierung der Krankenpflege beteiligt und trug zur Entwicklung moderner Pflegeberufe bei. Ihre Arbeit legte den Grundstein für viele soziale Einrichtungen, die bis heute bestehen und einen wichtigen Beitrag zum Gesundheits- und Sozialwesen leisten.

Die Diakonissenbewegung ist auch ein wichtiges Kapitel in der Geschichte des sozialen Engagements von Frauen. Sie bot Frauen im 19. und 20. Jahrhundert die Möglichkeit, sich aktiv im öffentlichen Leben zu engagieren und in Berufen tätig zu sein, die ihnen sonst verschlossen geblieben wären. In einer Zeit, in der Frauen oft auf die häusliche Sphäre beschränkt waren, öffnete die Diakonissenbewegung Türen zu neuen Möglichkeiten der beruflichen und persönlichen Selbstverwirklichung.

Die Idee der Diakonie, die in der Diakonissenbewegung wurzelt, bleibt in vielen modernen diakonischen Werken lebendig. Einrichtungen wie das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) führen das Erbe der Diakonissen in gewisser Weise fort und tragen die Idee der christlichen Nächstenliebe in die Gegenwart. Auch wenn die klassischen Diakonissengemeinschaften heute nur noch in wenigen Fällen bestehen, lebt das Ideal der dienenden Nächstenliebe weiter und prägt bis heute das Gesundheits- und Sozialwesen in vielen Teilen der Welt.

Bedeutung und Vermächtnis

Die Diakonissenbewegung hat das moderne Pflege- und Sozialsystem nachhaltig geprägt. Durch ihre Arbeit wurde der Grundstein für die Professionalisierung der Krankenpflege gelegt, und sie haben wesentlich zur Entwicklung der sozialen Arbeit beigetragen. Ihre christliche Motivation und ihre Bereitschaft, in den ärmsten und bedürftigsten Schichten der Gesellschaft zu arbeiten, machen sie zu einer bedeutenden Bewegung in der Geschichte der christlichen Nächstenliebe.

Das Vermächtnis der Diakonissen lebt heute in den diakonischen Einrichtungen und der modernen Krankenpflege weiter. Auch wenn die klassische Diakonissengemeinschaft fast verschwunden ist, bleibt ihr Einfluss spürbar. Die Diakonissenbewegung erinnert an die Kraft christlichen Engagements in Zeiten sozialer Not und hat das Bild von Pflege und Fürsorge bis in die Gegenwart hinein geprägt.

Quellen und Literatur

  • ab1d_kwd (ohne Datum) Kaiserswerther Diakonie: kaiserswerther-diakonie.de, Kaiserswerther-diakonie.de. Verfügbar unter: https://www.kaiserswerther-diakonie.de (Zugegriffen: 24. September 2024).
  • Konrad, D. (2008) Ein Leben für Gott: Aus den Erfahrungen von Diakonissen. 1. Aufl. Marburg: Francke-Buchhandlung.
  • Götzelmann, A., Sahmel, K.-H. und Schwarz, E.-A. (Hrsg.) (2009) Frauendiakonie und Krankenpflege: Im Gespräch mit Diakonissen in Speyer. 1. Aufl. Heidelberg: Universitätsverlag Winter GmbH Heidelberg.

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