Ignaz Semmelweis

Ignaz Semmelweis revolutionierte die Medizin mit antiseptischen Methoden, stieß auf Widerstand und wurde posthum als „Retter der Mütter“ geehrt.

Stephan Wäsche 5 Aufrufe
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Ignaz Philipp Semmelweis (* 01. Juli 1818 im Teilbezirk Tabán von Buda, heute Budapest; † 13. August 1865 in Wien) war ein ungarischer Arzt, der als Wegbereiter der modernen Hygiene gilt. Seine bahnbrechenden Erkenntnisse zur Prävention des Kindbettfiebers durch Händedesinfektion legten den Grundstein für antiseptische Praktiken in der Medizin. Trotz seiner bedeutenden Beiträge wurde Semmelweis zu Lebzeiten oft verkannt und stieß auf erheblichen Widerstand aus der medizinischen Gemeinschaft.

Ignaz Philipp Semmelweis
Beruf
Chirurg, Geburtshelfer
Geboren
01.07.1818 in Tabán, Budapest, Ungarn
Gestorben
13.08.1865 in Oberdöbling, Wien, Österreich
Begründung
Händehygiene
Spitzname
Retter der Mütter

Frühes Leben und Bildung

Ignaz Semmelweis wurde am 1. Juli 1818 in Buda (heute ein Teil von Budapest) geboren. Er war das fünfte von zehn Kindern in einer deutschstämmigen, wohlhabenden Kaufmannsfamilie. Sein Vater, Josef Semmelweis, betrieb ein erfolgreiches Lebensmittelgeschäft, das der Familie einen angesehenen Platz in der Gesellschaft sicherte.

Nach dem Besuch des katholischen Universitätsgymnasiums in Buda begann Semmelweis 1837 ein Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Wien. Doch schon bald entwickelte er ein Interesse an der Medizin und wechselte das Studienfach. Dieser Entschluss sollte nicht nur sein Leben, sondern auch die Geschichte der Medizin grundlegend verändern.

1844 schloss Semmelweis sein Medizinstudium mit dem Doktorgrad ab. Er spezialisierte sich anschließend auf Geburtshilfe, ein Fachgebiet, das damals von hoher gesellschaftlicher Relevanz war, da Komplikationen bei Geburten und die hohe Sterblichkeitsrate durch das sogenannte Kindbettfieber große Herausforderungen darstellten.

Wiener Klinik und die Entdeckung des Kindbettfiebers

Nach seiner Promotion erhielt Ignaz Semmelweis 1846 eine Anstellung als Assistenzarzt an der geburtshilflichen Abteilung des Allgemeinen Krankenhauses in Wien. Diese Klinik war eine der angesehensten medizinischen Institutionen ihrer Zeit und bot Semmelweis die Möglichkeit, unter führenden Wissenschaftlern zu arbeiten. Doch diese Position konfrontierte ihn auch mit einer erschreckenden Realität: Viele Frauen starben wenige Tage nach der Geburt an einer mysteriösen Krankheit, die als Kindbettfieber bekannt war.

Die Unterschiede zwischen den Stationen

Das Krankenhaus war in zwei Entbindungsstationen unterteilt:

  1. Die erste Station, die von Ärzten und Medizinstudenten betreut wurde.
  2. Die zweite Station, die von Hebammen geleitet wurde.

Ignaz Semmelweis bemerkte, dass die Sterblichkeitsrate in der ersten Station deutlich höher war als in der zweiten. Während in der Hebammenstation nur etwa 2–3 % der Mütter an Kindbettfieber starben, waren es in der ärztlich geleiteten Station häufig über 10 %. Diese Unterschiede waren schon länger bekannt, doch niemand hatte eine plausible Erklärung dafür.

Die entscheidende Beobachtung

Semmelweis begann systematisch nach den Ursachen zu suchen. Er stellte fest, dass Ärzte und Studenten oft direkt nach Obduktionen von Verstorbenen in den Kreißsaal gingen, ohne sich die Hände zu reinigen. Der Wendepunkt kam 1847, als sein Kollege Jakob Kolletschka während einer Obduktion durch eine infizierte Wunde starb. Die Symptome, die Kolletschka entwickelte, ähnelten denen der Frauen, die am Kindbettfieber starben. Semmelweis schloss daraus, dass “Leichengift” – infektiöses Material aus den Leichenschauen – über die Hände der Ärzte auf die Frauen übertragen wurde.

Einführung der Händedesinfektion

Basierend auf dieser Erkenntnis ordnete Ignaz Semmelweis an, dass alle Ärzte und Studenten vor der Untersuchung von Patientinnen ihre Hände mit einer Chlor-Kalk-Lösung reinigen mussten. Die Wahl des Desinfektionsmittels basierte darauf, dass es unangenehme Gerüche neutralisierte und gleichzeitig die infektiösen Partikel abtötete. Die Ergebnisse waren spektakulär: Die Sterblichkeitsrate sank von über 10 % auf weniger als 1 %, ein Erfolg, der die Praxis der Geburtshilfe revolutionieren sollte.

Widerstand aus der medizinischen Gemeinschaft

Trotz dieser beeindruckenden Erfolge stieß Ignaz Semmelweis auf massiven Widerstand. Seine Kollegen weigerten sich, seine Theorie anzuerkennen, da sie den Gedanken, selbst die Ursache für den Tod von Patientinnen zu sein, nicht akzeptieren wollten. Hinzu kam, dass die Vorstellung von Mikroorganismen, die Krankheiten verursachen, zur damaligen Zeit noch nicht bekannt war. Stattdessen dominierte die “Miasma-Theorie”, die schlechte Luft und Dämpfe als Ursache von Krankheiten ansah.

Persönliche Konflikte

Ignaz Semmelweis’ eigene Persönlichkeit verschärfte die Situation. Er war ein leidenschaftlicher, aber oft ungeduldiger Mensch, der seine Gegner scharf kritisierte. Anstatt diplomatisch vorzugehen, griff er Kollegen direkt an, was ihm viele Feinde einbrachte. Dies führte dazu, dass er 1849 seine Anstellung in Wien verlor und gezwungen war, nach Budapest zurückzukehren.

Arbeit in Budapest

In Budapest wurde Semmelweis 1851 Professor für Geburtshilfe am St.-Rochus-Krankenhaus. Dort setzte er seine Methoden der Händedesinfektion fort und konnte erneut beeindruckende Ergebnisse erzielen. Doch trotz seiner Bemühungen blieb seine Arbeit weitgehend unbeachtet, da die medizinische Gemeinschaft sich weiterhin weigerte, seine Erkenntnisse zu akzeptieren.

Veröffentlichung seines Hauptwerks

1861 veröffentlichte Semmelweis sein bahnbrechendes Werk “Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers”. In diesem Buch legte er detailliert dar, wie das Kindbettfieber durch hygienische Maßnahmen nahezu vollständig verhindert werden konnte. Obwohl das Werk wissenschaftlich fundiert war, fand es kaum Beachtung. Die ablehnende Haltung seiner Kollegen und der wissenschaftlichen Elite zermürbten Semmelweis zunehmend.

Persönliches Leben und tragisches Ende

Ignaz Semmelweis heiratete 1857 Maria Weidenhofer, mit der er drei Kinder hatte. Doch seine persönlichen und beruflichen Rückschläge führten zu einer zunehmenden Verschlechterung seines psychischen Zustands. Ab den frühen 1860er Jahren zeigte er Anzeichen von Depression, Paranoia und Verwirrtheit.

1865 wurde Semmelweis gegen seinen Willen in die staatliche Landesirrenanstalt Döbling bei Wien eingeliefert. Dort erlitt er offenbar Misshandlungen und starb wenige Wochen später am 13. August 1865 unter ungeklärten Umständen an einer Blutvergiftung – ironischerweise an einer Infektion, die durch mangelnde Hygiene verursacht wurde.

Grabmal von Ignaz Semmelweis auf dem Budapester Kerepesi temető (deutsch: Kerepescher Friedhof)
© Foto: Dr. Varga József

Ignaz Semmelweis wurde zunächst am 15. August auf dem Schmelzer Friedhof in Wien beigesetzt. Nach dessen Auflassung überführte man seine sterblichen Überreste zum Grab seiner Eltern auf dem Budapester Kerepesi temető. 1963 wurden diese schließlich in sein Geburtshaus überführt, das heute das Semmelweis-Museum für Medizingeschichte beherbergt.

Nachrufe auf Ignaz Semmelweis waren knapp und spärlich. Eine Würdigung seines Lebenswerks erschien lediglich in der ungarischen Fachzeitschrift Orvosi Hetilap, in der er einst einige Vorträge in ungarischer Sprache publiziert hatte. Die Wiener Medizinische Wochenschrift widmete ihm einen kurzen Nachruf:

Dienstag wurde Professor Semmelweis begraben. Viele Professoren, Primarärzte etc. folgten seinem Sarge und geleiteten ihn zur letzten Ruhestätte. Der Verstorbene war erst 47 Jahre alt und hinterlässt eine trauernde Witwe und drei unmündige Kinder. Ruhe seiner Asche.

Nachwirkung und posthume Anerkennung

Nach seinem Tod begann die medizinische Gemeinschaft, die Bedeutung von Ignaz Semmelweis’ Arbeiten zu erkennen. Die Entdeckung von Mikroorganismen durch Louis Pasteur in den 1860er Jahren und die Einführung antiseptischer Praktiken durch Joseph Lister bestätigten Semmelweis’ Erkenntnisse. Heute wird er als einer der Pioniere der modernen Hygiene und Infektionsprävention gefeiert.

Gedenken

  • In Budapest erinnert das Semmelweis-Museum für Medizingeschichte an sein Leben und Werk.
  • Die Universität Semmelweis, eine der führenden medizinischen Institutionen Ungarns, trägt seinen Namen.
  • 1993 wurde der Asteroid (4170) Semmelweis nach ihm benannt.
  • 2015, zu seinem 200. Geburtstag, ehrte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Semmelweis als einen der wichtigsten Wegbereiter der modernen Medizin.
  • Am 20. Februar 2019 enthüllte die Medizinische Universität Wien eine Statue von Ignaz Semmelweis, ein Geschenk der Semmelweis-Universität Budapest.
  • Semmelweis ist auf Briefmarken verschiedener Länder, darunter Österreich, Deutschland und Ungarn, verewigt, etwa in der Serie „Berühmte Ungarn“ der Ungarischen Post.
  • Der im englischen Sprachraum geläufige Begriff „Semmelweis-Reflex“ bezeichnet die spontane Zurückweisung neuer Informationen oder wissenschaftlicher Erkenntnisse, ohne diese zuvor zu überdenken oder zu prüfen.

Ignaz Semmelweis war ein visionärer Wissenschaftler, dessen Entdeckungen das Potenzial hatten, Millionen von Menschenleben zu retten. Doch der Widerstand gegen seine Ideen und die Tragik seines persönlichen Lebensweges verdeutlichen die Herausforderungen, denen Pioniere oft gegenüberstehen.

Heute wird sein Name mit Ehrfurcht und Respekt ausgesprochen. Der „Retter der Mütter“ hat mit seiner Arbeit nicht nur die Geburtshilfe revolutioniert, sondern auch die Basis für die moderne Medizin geschaffen. Seine Geschichte ist ein eindringliches Beispiel für die Kraft der Wissenschaft und den Mut, sich für das Wohl der Menschheit einzusetzen, selbst wenn man dafür persönliche und berufliche Risiken eingehen muss.

Zusammenfassung

Ignaz Semmelweis (1818–1865) war ein ungarisch-österreichischer Arzt und Pionier der Antisepsis. Als Assistent in der Geburtshilfeklinik des Wiener Allgemeinen Krankenhauses entdeckte er, dass das Kindbettfieber durch unzureichende Hygiene übertragen wurde. Seine Einführung des Händewaschens mit chloriertem Kalk senkte die Sterblichkeitsrate drastisch. Trotz seines Erfolgs stieß Semmelweis auf Widerstand, da seine Erkenntnisse nicht mit den damaligen medizinischen Theorien übereinstimmten. Nach seiner Rückkehr nach Pest kämpfte er weiterhin für seine Methoden, blieb jedoch isoliert. Sein geistiger Zustand verschlechterte sich, und er starb 1865 unter tragischen Umständen. Heute wird Semmelweis als „Retter der Mütter“ und Wegbereiter der modernen Medizin anerkannt.

Quellen

  • „Ignaz Semmelweis.“ Encyclopedia Britannica. https://www.britannica.com/biography/Ignaz-Semmelweis
  • Nuland, Sherwin B. „The Doctors‘ Plague: Germs, Childbed Fever, and the Strange Story of Ignac Semmelweis.“ W. W. Norton & Company, 2004.
  • Carter, K. Codell. „Childbed Fever: A Scientific Biography of Ignaz Semmelweis.“ Transaction Publishers, 2005.
  • Loudon, Irvine. „The Tragedy of Childbed Fever.“ Oxford University Press, 2000.
  • Hempel, Sandra. „The Strange Case of the Broad Street Pump: John Snow and the Mystery of Cholera.“ University of California Press, 2007.
  • Hanninen, Otto, Farago, Gabor, Monos, Emil. „Ignaz Philipp Semmelweis, the Prophet of Bacteriology.“ Infection Control & Hospital Epidemiology, 1983.

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