Leisure Sickness Syndrom: Warum Urlaub krank macht

Das Leisure Sickness Syndrom beschreibt das Phänomen, im Urlaub oder an freien Tagen krank zu werden. Statt Entspannung treten Symptome wie Kopfschmerzen oder Übelkeit auf. Stress und psychische Faktoren spielen eine Rolle.

Stephan Wäsche 286 Aufrufe
Lesezeit: 10 Min.
Wenn der Körper im Urlaub streikt und Symptome wie Kopfschmerzen oder Müdigkeit auftreten, könnte das Leisure Sickness Syndrom die Ursache sein – ausgelöst durch plötzlichen Stressabbau.© Foto: Gustavo Fring (Pexels)

Das Leisure Sickness Syndrom (L-S-S) ist ein Phänomen, das besonders in den letzten Jahrzehnten zunehmend an Aufmerksamkeit gewonnen hat. Es beschreibt eine merkwürdige Situation, in der Menschen gerade in ihrer Freizeit oder im Urlaub krank werden, obwohl sie während der Arbeitszeit vollkommen gesund sind. Die Symptome können von Kopfschmerzen über Übelkeit bis hin zu grippalen Infekten reichen und beeinträchtigen die Freude an der Erholung erheblich. Das Phänomen scheint paradox, denn eigentlich sollte der Körper während der Freizeit entspannen und regenerieren. Doch bei manchen Menschen tritt das genaue Gegenteil ein. Aber was steckt hinter diesem Syndrom, das scheinbar die Entspannung in Krankheit umwandelt?

Ursprünge und Definition des Leisure Sickness Syndroms

Das Leisure Sickness Syndrom ist ein relativ neues und wenig erforschtes Phänomen, das 2002 erstmals von dem niederländischen Psychologen Ad Vingerhoets und seinem Team der Universität Tilburg beschrieben wurde. In ihrer Studie untersuchten sie das Auftreten von Krankheitssymptomen in der Freizeit und fanden heraus, dass ein signifikanter Anteil der Bevölkerung davon betroffen ist. Obwohl das Leisure Sickness Syndrom (auf Deutsch etwa „Freizeitkrankheit“) keine offiziell anerkannte medizinische Diagnose ist, wird es als eine psychosomatische Reaktion auf Stress und Entspannung betrachtet.

Definition

Das Leisure Sickness Syndrom beschreibt den paradoxen Zustand, bei dem Menschen in ihrer Freizeit, insbesondere an Wochenenden oder während ihres Urlaubs, krank werden oder sich unwohl fühlen, obwohl sie während ihrer Arbeitszeit weitgehend gesund bleiben. Typische Symptome sind körperliche Beschwerden wie Kopfschmerzen, Muskelschmerzen, Übelkeit oder Müdigkeit, die oft genau dann auftreten, wenn man sich entspannen möchte.

Der Begriff „Leisure Sickness“ selbst leitet sich aus dem englischen Wort „leisure“ (Freizeit) und „sickness“ (Krankheit) ab und beschreibt somit den scheinbaren Widerspruch, dass die Krankheit auftritt, wenn der Stress im Arbeitsalltag nachlässt und der Körper sich eigentlich erholen sollte.

Symptome

Die Symptome des Leisure Sickness Syndroms können variieren und reichen von körperlichen bis hin zu psychischen Beschwerden. Sie treten in der Regel zu Beginn von Freizeitphasen wie am Wochenende, im Urlaub oder an Feiertagen auf. Zu den häufigsten Symptomen gehören:

  • Kopfschmerzen
    Viele Betroffene klagen über Kopfschmerzen, die entweder als Spannungskopfschmerzen oder sogar als Migräne auftreten können. Diese Kopfschmerzen setzen oft zu Beginn des Wochenendes oder des Urlaubs ein und können die Erholung erheblich beeinträchtigen.
  • Müdigkeit und Erschöpfung
    Eine tiefe Erschöpfung, die über das normale Bedürfnis nach Ruhe hinausgeht, ist ein weiteres häufiges Symptom. Obwohl die Betroffenen theoretisch Zeit zur Erholung haben, fühlen sie sich oft extrem müde und ausgelaugt, als hätte die Freizeit die versteckte Erschöpfung an die Oberfläche gebracht.
  • Muskelschmerzen und Verspannungen
    Muskelverspannungen, besonders im Nacken- und Rückenbereich, sind weit verbreitet. Diese können durch den Abbau von Stress oder die Veränderung der Körperhaltung während der Freizeitphasen entstehen.
  • Grippale Symptome
    Erkältungssymptome wie laufende Nase, Halsschmerzen, Husten und leichtes Fieber treten ebenfalls häufig auf. Es scheint, als ob der Körper in der Entspannungsphase anfälliger für Infekte wird.
  • Übelkeit und Verdauungsprobleme
    Einige Betroffene berichten von Übelkeit, Verdauungsstörungen oder Magenbeschwerden. Diese Symptome könnten auf eine stressbedingte Dysregulation des Verdauungssystems zurückzuführen sein, die erst in der Freizeit deutlicher wird.
  • Konzentrationsprobleme
    Obwohl die Freizeit eigentlich der Erholung dienen soll, haben manche Menschen Schwierigkeiten, sich zu entspannen und konzentrieren sich übermäßig auf ihre Beschwerden. Dies kann die psychische Belastung zusätzlich verstärken und ein Gefühl der Frustration auslösen.
  • Reizbarkeit und Stimmungsschwankungen
    Psychische Symptome wie Reizbarkeit, Stimmungsschwankungen oder leichte depressive Verstimmungen können ebenfalls auftreten. Betroffene fühlen sich oft gestresst, weil die erhoffte Erholung nicht wie gewünscht eintritt.
  • Schlafstörungen
    Trotz der Möglichkeit, mehr zu schlafen, leiden viele Menschen unter Schlafproblemen, insbesondere zu Beginn von Urlaubs- oder Erholungsphasen. Schlaflosigkeit oder unruhiger Schlaf können Teil des Problems sein.

Diese Symptome machen es den Betroffenen schwer, ihre Freizeit tatsächlich zu genießen. Sie werden stattdessen von einem Gefühl der Unruhe und des Unwohlseins begleitet, das paradoxerweise genau in den Momenten auftritt, in denen sie sich am meisten auf Erholung gefreut haben.

Mögliche Ursachen

Die Ursachen für das Leisure Sickness Syndrom (L-S-S) sind vielfältig und lassen sich nicht auf eine einzige Erklärung zurückführen. Sie betreffen sowohl physiologische als auch psychologische Faktoren, die sich oft gegenseitig beeinflussen.

Stress und plötzlicher Stressabfall

Eine der am häufigsten diskutierten Ursachen ist der abrupte Wechsel vom stressigen Alltag in die Freizeit. Während der Arbeitswoche oder während intensiver Arbeitsphasen bleibt der Körper in einem erhöhten Stresszustand, oft ohne die Möglichkeit, sich wirklich zu entspannen. Der Körper steht dabei unter einer konstanten Anspannung, die durch das Hormon Cortisol unterstützt wird. Cortisol hilft dem Körper, mit Stress umzugehen, indem es das Immunsystem auf einem hohen Niveau hält.

Wenn der Stress plötzlich abfällt – etwa zu Beginn eines Urlaubs oder am Wochenende – kann dies zu einem „Entzugsphänomen“ führen, bei dem der Körper die Balance verliert. Das Immunsystem, das während der stressigen Phasen aktiv bleibt, erfährt plötzlich einen Rückgang der Cortisolproduktion, was die Abwehrkräfte schwächt. Dadurch wird der Körper anfälliger für Infektionen und Krankheiten. Dieser schnelle Wechsel von Aktivierung zu Entspannung kann dazu führen, dass der Körper in der Freizeit Symptome wie Kopfschmerzen, Müdigkeit oder Erkältungen zeigt.

Psychologische und emotionale Faktoren

Eine weitere wichtige Ursache könnten psychologische Faktoren sein, insbesondere bei Menschen mit einem hohen Anspruch an sich selbst und ihrer Freizeit. Menschen, die während der Arbeit unter großem Leistungsdruck stehen, können auch in ihrer Freizeit Schwierigkeiten haben, wirklich abzuschalten. Der innere Drang, ständig produktiv zu sein, führt oft dazu, dass die Freizeit mit hohen Erwartungen verknüpft wird. Wenn diese Erwartungen nicht erfüllt werden – etwa, weil die erhoffte Entspannung nicht sofort eintritt –, kann dies zu Frustration und einem verstärkten Stressgefühl führen. Dieser emotionale Stress kann sich wiederum in körperlichen Symptomen äußern.

Besonders betroffen sind Perfektionisten oder Menschen, die Schwierigkeiten haben, die Kontrolle abzugeben. Sie setzen sich selbst auch in der Freizeit unter Druck, indem sie sich hohe Ziele setzen, die freie Zeit optimal zu nutzen. Dieser ständige Druck, selbst in den vermeintlich erholsamen Phasen „funktionieren“ zu müssen, kann das Risiko für das Leisure Sickness Syndrom erhöhen.

Fehlende Work-Life-Balance

Menschen, die es schwer haben, zwischen Arbeit und Freizeit eine klare Grenze zu ziehen, sind anfälliger für das Leisure Sickness Syndrom. In einer zunehmend digitalen und vernetzten Welt, in der Arbeits-E-Mails und -Anrufe auch in der Freizeit oder im Urlaub präsent sind, fällt es vielen Menschen schwer, wirklich abzuschalten. Dieser mangelnde Abstand zur Arbeit verhindert, dass der Körper sich vollständig entspannen kann. Das Gefühl, immer „on“ sein zu müssen, hält den Stresslevel auch in der Freizeit hoch und macht den Körper anfälliger für Krankheiten.

Eine unzureichende Work-Life-Balance kann auch dazu führen, dass der Körper die Freizeit als eine Gelegenheit nutzt, um sich von dem chronischen Stress zu erholen. Dieser Erholungsprozess kann jedoch in Form von Krankheitssymptomen wie Kopfschmerzen, Übelkeit oder Müdigkeit auftreten.

Psychosomatische Mechanismen

Psychosomatische Zusammenhänge spielen bei der Entstehung des Leisure Sickness Syndroms ebenfalls eine Rolle. Menschen, die sich im Alltag keine Pausen gönnen oder ihr Wohlbefinden zugunsten von Arbeit oder Pflichten vernachlässigen, könnten in der Freizeit auf eine unbewusste Art „Erlaubnis“ zur Krankheit geben. Der Körper nutzt dann die freie Zeit, um den aufgestauten Stress abzubauen, was sich in Krankheitssymptomen äußert. Der Körper „erzwingt“ auf diese Weise eine Ruhepause, die ihm während der Arbeitszeit verwehrt bleibt.

Veränderte Routine

Die Freizeit oder der Urlaub bringen oft eine erhebliche Änderung der täglichen Routine mit sich. Dies betrifft sowohl den Schlafrhythmus als auch die Ernährungsgewohnheiten und die körperliche Aktivität. Viele Menschen schlafen während ihrer freien Tage länger oder anders als im Alltag, was das Gleichgewicht des Körpers durcheinander bringen kann. Auch der plötzliche Mangel an Bewegung oder eine veränderte Ernährung können das Wohlbefinden beeinflussen und den Körper anfälliger für Krankheitssymptome machen.

Überhöhte Erwartungen an die Freizeit

Manche Menschen setzen ihre Erwartungen an die Freizeit so hoch, dass sie sich unbewusst selbst stressen. Der Druck, die freie Zeit möglichst perfekt zu nutzen, um sich zu erholen oder Dinge zu erledigen, die während der Arbeitszeit liegengeblieben sind, kann den Stresslevel aufrechterhalten. Wenn dann die erwartete Entspannung oder Erholung ausbleibt, können sich Enttäuschung und Frustration in körperlichen Symptomen manifestieren.

Wer ist besonders betroffen?

Leisure Sickness tritt besonders häufig bei Menschen auf, die unter starkem beruflichen oder persönlichen Druck stehen. Besonders Personen, die Schwierigkeiten haben, zwischen Arbeit und Freizeit klar zu trennen, sind anfälliger für dieses Syndrom. Dazu gehören beispielsweise Menschen, die in medizinischen Berufen oder in Führungspositionen arbeiten, einen sehr anspruchsvollen Beruf haben oder sich privat viele Verpflichtungen aufladen. Die ständige Anforderung, immer funktionieren zu müssen, kann dazu führen, dass der Körper irgendwann rebelliert – und das ausgerechnet dann, wenn man eigentlich abschalten möchte.

Auch Menschen mit einem hohen Perfektionismus und einer übermäßigen Selbstkontrolle scheinen anfälliger für Leisure Sickness zu sein. Sie erlauben sich oft nur dann Pausen oder Entspannung, wenn sie ihre Ziele erreicht haben. Doch genau dieser ständige Leistungsdruck verhindert eine echte Erholung und führt dazu, dass sich der Körper in der Freizeit mit Krankheitssymptomen wehrt.

Behandlung und Prävention

Da das Leisure Sickness Syndrom keine anerkannte medizinische Diagnose ist, gibt es keine spezifischen Behandlungsmethoden. Allerdings können verschiedene Ansätze helfen, das Risiko zu minimieren. Ein wesentlicher Schritt ist das Stressmanagement. Wer lernt, bereits während der Arbeitswoche bewusste Entspannungsphasen einzubauen, reduziert die Gefahr, dass der Körper in der Freizeit „zusammenbricht“. Autogenes Training, Meditation oder regelmäßiger Sport können helfen, das Stressniveau zu senken und dem Körper zu signalisieren, dass er nicht in ständiger Alarmbereitschaft sein muss.

Auch das Bewusstsein für die eigene Work-Life-Balance ist entscheidend. Wer es schafft, die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit klarer zu ziehen, kann besser abschalten und entspannen. Wichtig ist, dass man sich in der Freizeit nicht zusätzlichen Druck auferlegt, indem man die freie Zeit perfektionieren will. Es ist in Ordnung, einfach mal nichts zu tun und die Freizeit als Zeit der Regeneration zu betrachten, ohne den Anspruch zu haben, sie mit unzähligen Aktivitäten zu füllen.

Ein weiterer Ansatz kann die Unterstützung durch Psychotherapie sein, vor allem, wenn tieferliegende Ängste oder psychosomatische Muster erkannt werden. Menschen, die unter starker Selbstkontrolle leiden oder sich übermäßig an Leistung orientieren, können durch therapeutische Maßnahmen lernen, sich selbst mehr Freiraum und Pausen zu gönnen, ohne sich schuldig zu fühlen.

Fazit

Das Leisure Sickness Syndrom verdeutlicht, wie stark der Zusammenhang zwischen Körper und Psyche ist. Es zeigt, dass der menschliche Organismus ein komplexes Zusammenspiel von physischen und psychischen Prozessen ist und dass Entspannung nicht immer so einfach ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Wer während der Freizeit regelmäßig krank wird, sollte sich fragen, ob der eigene Lebensstil eine ausreichende Balance zwischen Arbeit und Erholung bietet. Denn wahre Erholung erfordert nicht nur freie Zeit, sondern auch die Fähigkeit, loszulassen – sowohl körperlich als auch mental.

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