Mumifizierung im Alten Ägypten: Rituale, Glauben und Technik

Die Mumifizierung im alten Ägypten war ein komplexer Prozess, der den Körper für das Jenseits bewahrte. Sie diente dem Glauben, dass die Seele den Körper im Leben nach dem Tod weiterhin benötigte.

Stephan Wäsche
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Eine Mumie ist ein konservierter menschlicher oder tierischer Körper, dessen Haut und Gewebe durch natürliche oder künstliche Mittel, wie Trocknung oder Einbalsamierung, vor Verfall geschützt wurden.© Foto: Stephan Wäsche (Medirio)

Die Mumifizierung im antiken Ägypten war ein komplexer Prozess, der über mehrere Jahrtausende entwickelt wurde. Ziel der Mumifizierung war es, den Körper der Verstorbenen für das Leben nach dem Tod zu bewahren. Dies hing eng mit der ägyptischen Vorstellung des Jenseits zusammen, in der der Körper eine wesentliche Rolle spielte. Die Ägypter glaubten, dass die Seele (Ba und Ka) den Körper nach dem Tod weiterhin benötigte, um ins Jenseits zu gelangen. Daher war es entscheidend, den Körper so gut wie möglich zu erhalten.

Ursprung und frühe Entwicklung

Die ersten Anfänge der Mumifizierung lassen sich auf die Zeit vor der Erfindung der Schrift und der Zivilisation selbst zurückführen. Früheste Belege stammen aus der prädynastischen Periode (vor 3000 v. Chr.). Zu dieser Zeit wurden die Verstorbenen in flachen Gräbern direkt im Wüstensand beigesetzt, wo die heißen und trockenen Bedingungen den Körper auf natürliche Weise austrockneten und konservierten. Diese natürlichen „Mumien“ dienten den Ägyptern als Vorlage, die Technik der Mumifizierung zu imitieren und zu verbessern.

Mit der Zeit begannen die Ägypter, ihre Toten in Gräbern oder Grabkammern zu bestatten, die tiefer in den Boden eingelassen und vor der Wüste geschützt waren. Dadurch wurde der Körper nicht mehr von der Umgebung getrocknet und begann zu verwesen. Um dem entgegenzuwirken, wurden Methoden entwickelt, die den natürlichen Konservierungsprozess nachahmten. So entstand die erste künstliche Mumifizierung, die sich im Laufe der Zeit zu einem äußerst komplizierten und ritualisierten Verfahren entwickelte.

Der religiöse Hintergrund der Mumifizierung

Die alten Ägypter glaubten, dass der Tod nur ein Übergang in eine andere Existenzform war. Sie stellten sich das Jenseits, das „Feld der Rushes“ oder „Aaru“ genannt, als eine Art ideales Spiegelbild des irdischen Lebens vor, in dem die Verstorbenen in Frieden und Fülle weiterleben konnten. Um jedoch in dieses Paradies zu gelangen, musste der Körper intakt bleiben, da die Seele (bestehend aus Ba und Ka) nach dem Tod weiterhin eine physische Verbindung zum Körper benötigte. Der Verfall des Körpers hätte den endgültigen Tod der Seele bedeutet.

Ein entscheidender Aspekt dieser Glaubensvorstellung war der Gott Osiris, der Gott der Unterwelt und des Jenseits. Osiris wurde selbst durch den Mythos seiner Zerstückelung und Wiederbelebung zum Symbol für Tod und Wiedergeburt, und er diente als Vorbild für die Mumifizierung. Die Ägypter glaubten, dass jeder Verstorbene, der richtig mumifiziert und rituell bestattet wurde, einen ähnlichen Weg wie Osiris einschlagen und ins Jenseits eintreten könnte.

Der Mumifizierungsprozess

Die Mumifizierung war ein langwieriger Prozess, der etwa 70 Tage dauerte und in mehreren präzisen Schritten durchgeführt wurde. Nur ausgebildete Priester, die oft in engem Zusammenhang mit dem Gott Anubis standen, waren in der Lage, diesen Prozess korrekt auszuführen.

  1. Entfernung der inneren Organe
    Der erste Schritt bestand darin, den Körper von allen inneren Organen zu befreien, die schnell verwesen konnten. Dazu wurde ein Schnitt an der linken Seite des Bauches gemacht, durch den die Leber, der Magen, die Lungen und der Darm entnommen wurden. Diese Organe wurden in speziellen Gefäßen, den Kanopenkrügen, aufbewahrt, die jeweils von einer Schutzgottheit behütet wurden: Imset für die Leber, Hapi für die Lungen, Duamutef für den Magen und Qebehsenuef für den Darm.Das Gehirn wurde hingegen als nicht wichtig angesehen. Es wurde mit Haken durch die Nase entfernt und in der Regel entsorgt. Im Gegensatz dazu spielte das Herz eine zentrale Rolle im ägyptischen Glaubenssystem, da es als Sitz der Emotionen und des Intellekts galt. Es wurde im Körper belassen, da es im Jenseits während des Gerichts der Toten gewogen werden sollte.
  2. Trocknung des Körpers
    Nach der Entfernung der inneren Organe wurde der Körper gereinigt und mit Natron (einem natürlichen Salzgemisch) bedeckt, um ihm die Feuchtigkeit zu entziehen. Dieser Trocknungsprozess dauerte etwa 40 Tage, wobei der Körper regelmäßig überprüft und das Natron erneuert wurde. Diese Phase war entscheidend, um den Zerfall zu stoppen und den Körper auf das ewige Leben vorzubereiten.
  3. Einbalsamierung
    Nach der Trocknung wurde der Körper mit Ölen, Harzen und duftenden Substanzen behandelt, um ihn zu konservieren und ihm ein angenehmes Aroma zu verleihen. Diese Substanzen hatten auch eine religiöse Bedeutung und sollten den Verstorbenen vor Verwesung und bösen Geistern schützen.
  4. Wickelung
    Der getrocknete und einbalsamierte Körper wurde anschließend in mehreren Schichten von Leinentüchern gewickelt. Die Wickelung war ein besonders ritueller Teil des Prozesses. Zwischen den einzelnen Lagen wurden Amulette und magische Sprüche gelegt, die den Toten im Jenseits schützen und ihm Kraft geben sollten. Die bekanntesten dieser Amulette waren der Skarabäus, der für Wiedergeburt und Schutz stand, und das Auge des Horus, ein Symbol für Heilung und Schutz.
  5. Bestattung
    Der mumifizierte Körper wurde schließlich in einen kunstvoll gestalteten Sarg gelegt, der oft reich mit religiösen Symbolen und Bildern des Verstorbenen bemalt war. Reiche Ägypter konnten sich mehrere ineinander verschachtelte Särge leisten, die zusätzlichen Schutz bieten sollten. Der Sarg wurde in einem Grab beigesetzt, das ebenfalls oft mit Inschriften und Szenen aus dem Totenbuch versehen war, einem Sammlung von Sprüchen und Ritualen, die dem Verstorbenen helfen sollten, den Übergang ins Jenseits zu meistern.

Berühmte Mumien im antiken Ägypten

Im Laufe der Jahrtausende wurden zahlreiche Mumien entdeckt, die uns einen faszinierenden Einblick in das Leben, den Tod und die Bestattungskultur des alten Ägyptens geben. Einige dieser Mumien gehören zu berühmten Persönlichkeiten, wie Pharaonen oder hochrangigen Mitgliedern der ägyptischen Gesellschaft, während andere durch die außergewöhnlichen Umstände ihrer Entdeckung oder ihren Erhaltungszustand besondere Berühmtheit erlangt haben. Im Folgenden werden einige der bekanntesten ägyptischen Mumien vorgestellt:

Tutanchamun (ca. 1342–1323 v. Chr.)

Die wohl berühmteste aller ägyptischen Mumien ist die des Pharao Tutanchamun, auch bekannt als der “Kindkönig”, der im Alter von etwa 18 oder 19 Jahren starb. Sein Grab wurde 1922 von dem britischen Archäologen Howard Carter im Tal der Könige nahezu unberührt entdeckt. Diese Entdeckung war eine der bedeutendsten archäologischen Funde des 20. Jahrhunderts, da das Grab reich mit Schätzen ausgestattet war, die unschätzbare Einblicke in das Leben und die Bestattungspraktiken der Pharaonen lieferten.

Tutanchamuns Mumie wurde sorgfältig untersucht, und es gab zahlreiche Spekulationen über die Todesursache des jungen Königs. Moderne wissenschaftliche Methoden wie CT-Scans und DNA-Analysen haben gezeigt, dass er an verschiedenen gesundheitlichen Problemen litt, darunter eine Malariainfektion und ein gebrochenes Bein, was möglicherweise zu seinem frühen Tod beigetragen haben könnte.

Seine goldene Totenmaske, die den Kopf seiner Mumie bedeckte, ist heute ein weltberühmtes Symbol für die Pracht des antiken Ägyptens. Trotz des immensen Reichtums, der in seinem Grab gefunden wurde, ist Tutanchamun selbst historisch gesehen ein eher unbedeutender Herrscher. Seine Berühmtheit verdankt er vor allem der Entdeckung seines nahezu unversehrten Grabes.

Mumie von Tutanchamun
Die Mumie Tutanchamuns wurde 1922 im Tal der Könige entdeckt. Sein gut erhaltenes Skelett war in Leinen gewickelt, mit einer goldenen Totenmaske bedeckt und in einem kunstvoll gestalteten Sarkophag bestattet.
© Foto: Stephan Wäsche (Medirio)

Ramses II. (ca. 1303–1213 v. Chr.)

Ramses II., auch bekannt als Ramses der Große, war einer der mächtigsten und am längsten regierenden Pharaonen in der ägyptischen Geschichte. Er herrschte über Ägypten während der 19. Dynastie und war bekannt für seine militärischen Erfolge sowie seine umfangreichen Bautätigkeiten, darunter die Errichtung monumentaler Tempel wie Abu Simbel.

Die Mumie von Ramses II. wurde 1881 in einem Versteck in Deir el-Bahari in der Nähe von Luxor entdeckt, wo sie zusammen mit den Mumien mehrerer anderer Pharaonen versteckt worden war, um sie vor Grabräubern zu schützen. Die Mumie war in bemerkenswert gutem Zustand und wurde später nach Paris gebracht, wo sie gründlich untersucht und behandelt wurde, um sie vor weiterem Verfall zu bewahren.

Interessanterweise wurde Ramses II. in Frankreich sogar offiziell ein Pass ausgestellt, da seine Mumie als „würdiger Bürger“ betrachtet wurde. Die wissenschaftliche Analyse der Mumie zeigte, dass Ramses II. im hohen Alter starb, möglicherweise im Alter von etwa 90 Jahren, was für die damalige Zeit außergewöhnlich war.

Amenhotep I. (ca. 1541–1527 v. Chr.)

Amenhotep I. war der zweite Pharao der 18. Dynastie und ein bedeutender Herrscher, der zahlreiche militärische und architektonische Erfolge erzielte. Seine Mumie ist besonders bemerkenswert, da sie eine der ersten war, die gefunden wurde, und zudem in sehr gutem Zustand erhalten ist.

Seine Mumie wurde 1881 im berühmten Mumienversteck von Deir el-Bahari entdeckt, zusammen mit den Mumien anderer Pharaonen, die dort zum Schutz vor Grabräubern umgebettet worden waren. Die Mumie von Amenhotep I. wurde bis heute nie vollständig ausgewickelt, da die Ägypter sie als nationalen Schatz betrachten und sie so respektvoll wie möglich behandeln möchten.

Seti I. (ca. 1290–1279 v. Chr.)

Seti I., der Vater von Ramses II., war ein Pharao der 19. Dynastie und gilt als einer der größten Herrscher des Neuen Reiches. Seine Mumie wurde 1881 ebenfalls in Deir el-Bahari gefunden und gehört zu den am besten erhaltenen ägyptischen Mumien. Setis Gesicht ist besonders gut erhalten, sodass man seine Gesichtszüge noch klar erkennen kann.

Die detaillierte Konservierung seiner Mumie und die sorgfältige Einbalsamierung lassen darauf schließen, dass die Mumifizierer des Neuen Reiches zu dieser Zeit eine hohe Kunstfertigkeit erreicht hatten. Setis Sarg und Grabmal im Tal der Könige gehören ebenfalls zu den schönsten und aufwendigsten, die je entdeckt wurden.

Königin Hatschepsut (ca. 1507–1458 v. Chr.)

Hatschepsut war eine der wenigen weiblichen Pharaonen und regierte als eine der mächtigsten Herrscherinnen Ägyptens. Lange Zeit blieb ihre Mumie unentdeckt, bis 2007 eine Identifizierung vorgenommen wurde. Ihre Mumie wurde 1903 von Howard Carter in einem unscheinbaren Grab in der Nähe des Tals der Könige gefunden, doch erst durch DNA-Tests und die Analyse eines Zahns konnte bestätigt werden, dass es sich tatsächlich um Hatschepsut handelte.

Hatschepsuts Mumie zeigt Anzeichen von Krankheiten, darunter Knochenkrebs und Diabetes, und es wird vermutet, dass sie an den Folgen dieser Erkrankungen starb. Ihre Entdeckung war eine bedeutende Errungenschaft, da Hatschepsut eine der faszinierendsten Persönlichkeiten der ägyptischen Geschichte ist, bekannt für ihre außergewöhnliche Herrschaft und den Bau ihres prächtigen Totentempels in Deir el-Bahari.

Der soziale und wirtschaftliche Aspekt der Mumifizierung

Die Qualität der Mumifizierung variierte stark je nach sozialem Status des Verstorbenen. Für Pharaonen und hochrangige Adlige wurden besonders aufwendige Verfahren angewendet, bei denen kostbare Materialien wie Gold und Edelsteine zum Einsatz kamen. Die Gräber dieser Elite waren oft prachtvolle Monumente, die für die Ewigkeit gebaut wurden, wie die berühmten Pyramiden oder die Felsengräber im Tal der Könige.

Für die ärmeren Schichten der Gesellschaft war die Mumifizierung einfacher und weniger kostspielig. Oft wurde der Prozess verkürzt oder auf bestimmte Schritte verzichtet. In einigen Fällen wurde der Körper lediglich getrocknet, ohne aufwändige Einbalsamierung oder Wickelung.

Das Ende der Mumifizierung

Mit der Christianisierung Ägyptens und dem Aufstieg neuer religiöser Überzeugungen im 4. Jahrhundert n. Chr. verlor die Praxis der Mumifizierung an Bedeutung. Die neuen Religionen, insbesondere das Christentum, lehnten die Vorstellung ab, dass der Körper für das Leben nach dem Tod erhalten bleiben musste. Stattdessen rückten andere Vorstellungen von Spiritualität und dem Jenseits in den Vordergrund.

Zusmmenfassung

Die Mumifizierung im antiken Ägypten war ein komplexer Prozess zur Konservierung des Körpers für das Jenseits, basierend auf dem Glauben, dass die Seele den Körper nach dem Tod benötigte. Der Prozess dauerte etwa 70 Tage und umfasste die Entfernung der Organe, die Trocknung des Körpers mit Natron, die Einbalsamierung und das Einwickeln in Leinentücher. Reiche Menschen erhielten aufwendigere Mumifizierungen, während Tiere oft als heilige Opfergaben mumifiziert wurden. Mit der Christianisierung verlor die Mumifizierung an Bedeutung und verschwand schließlich.

Quellen

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